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Die seltsamen Türme von Super-Cannes

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Das Ortsbild von Cannes an der Côte d’Azur wird bekrönt von zwei seltsamen Türmen, für die sich heute in diesem Festival-, Kongress- und Badeort niemand mehr zu interessieren scheint. Wir sind da mal raufgefahren.

Bergstation des Funiculaire (1928) und der Turm des Observatoire (1953). Fotos: Juli 2012

Zwei seltsame Türme über Cannes

Auf den ersten Blick haben sie nichts miteinander zu tun, der trutzige gelbe Burgzinnen-Turm und das modernistische Beton-Ufo auf einer Stelze. Doch immerhin liegen beide auf dem Hügel von Super-Cannes, und beide sind für die Öffentlichkeit unzugänglich. Ihre Lage ist nicht ausgeschildert, kein Tourist verirrt sich über steile Serpentinenwege zu ihnen. Das ist einigermaßen merkwürdig, denn immerhin sind die beiden Türme prominent gelegen, sie markieren die Lage der Stadt Cannes aus der Ferne so zuverlässig wie keine anderen Bauwerke.

Und sobald man nachschlägt, erfährt man weitere Gemeinsamkeiten: Beide Türme haben den selben Bauherrn, beide sind zudem zeitgleich errichtet worden. Das glauben Sie jetzt nicht? Es stimmt ja auch nicht ganz. Der Betonturm ist schon der zweite an dieser Stelle und damit jünger als der andere. Aber der Reihe nach.

In den 1920er Jahren hat die Société Immobilière de Paris et du Littoral  hier oben auf den Hügeln planmäßig das Terrain entwickelt, das heißt, 158 Hektar in bebaubare Parzellen aufgeteilt. Es entstand der Stadtteil La Californie. In diesem Zusammenhang hat die Gesellschaft auch Infrastrukturprojekte erbaut. Dazu zählt ein Trinkwassernetz von 24 km Länge mit einem Wasserturm – denn nichts anderes als ein Wasserturm ist der gelbe Turm in all seiner Burgenromantik! Die weiß gewandeten Besucher, die man von weitem auf den Zinnen wähnt, sind allerdings nur Mobilfunkantennen. Der Turm (frz.: château d’eau) wurde 1925-26 von einem unbekannten Architekten in Stahlbeton erbaut und mit einem ockergelb gestrichenen Putz versehen. Warum er nach dem Motiv des Bergfrieds (frz.: donjon) gestaltet wurde, ist nicht bekannt  (Av. du Château-d’eau, F-06400 Cannes).

Château d’eau in Super-Cannes

Spektakulärer ist der zweite Turm in Sichtbeton. Es handelt sich um einen Aussichtsturm, dessen hölzerner Vorgänger ebenfalls Mitte der 20er Jahre von der Société Immobilière de Paris et du Littoral errichtet wurde. Der Aussichtsturm (frz.: observatoire) markierte den oberen Endpunkt einer Standseilbahn (frz.: funiculaire), die 1928 eröffnet wurde, um die Besiedlung des Hügels attraktiver zu machen. Doch mit dem Siegeszug des Automobils wurde das Funiculaire immer überflüssiger. Als dann auch noch die Wartung kompliziert wurde, weil die Herstellerfirma eingegangen war, wurde es 1966 stillgelegt. Der heutige Aussichtsturm wurde 1953 durch den Architekten Georges Sauvan aus Cannes errichtet und war bis 1986 öffentlich zugänglich. Seitdem ist auch er aufgegeben (Av. de la Gare du Funiculaire, F-06400 Cannes).

Das Funiculaire überwand mit einer Länge von 850 Metern einen Höhenunterschied von 233 Metern. Dafür brauchte es sieben Minuten. Zwei Waggons begegneten sich in der Mitte der ansonsten eingleisigen Strecke. Ein vor einigen Jahren offenbar noch vorhandener Waggon auf dem Bergbahnhof ist inzwischen abgebrannt. Mehrere heute noch bestehende Brückenbauwerke überqueren Straßen.

Das Brückenbauwerk des Funiculaire über die Av. de l’Estérel

Die beiden Bahnhöfe sind im neoprovencalischen Stil gehalten; der untere imitiert eine ländliche Kapelle (Av. Val Vert, F-06400 Cannes). Bei beiden wurden offenbar kürzlich (Wikipedia: 2009) die Fassaden restauriert. Das Funiculaire gehört einem arabischen Scheich, der es nach dem Scheitern eines 1994 nicht genehmigten Villenprojektes offenbar aufgegeben hat.

Eine Wiederinbetriebnahme des Funiculaire, wie sie etwa in Orvieto (Umbrien) 1990 stattgefunden hat, erscheint schon deshalb ausgeschlossen, da in Cannes der „Talbahnhof“ bereits in beträchtlicher Höhe liegt und für nicht motorisierte Touristen kaum zugänglich ist.

Die Talstation des stillgelegten Funiculaire im Stil einer provencalischen Landkapelle steht unscheinbar am Ende einer Sackgasse

Stillgelegte Trasse der Standseilbahn

Hier in der Bergstation des Funiculaire ist ein Waggon abgebrannt

 

 

Geschrieben von Benedikt Hotze

16. Juli 2012 um 22:27

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