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Selbständige und Hartz IV

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Der Piratenvorstand Johannes Ponader ist am 4. Juli 2012 in der FAZ an die Öffentlichkeit gegangen und hat entwürdigende Methoden der Arbeitsagenturen gegenüber Hartz IV-Empfängern angeprangert. Der Mann ist freiberuflich als Regisseur, Schauspieler und Theatertherapeut tätig und hat in der Vergangenheit selbst streckenweise Hartz IV bezogen. Daher wirft man ihm vor, er lebe nach der Devise: „Ich arbeite nur, wenn’s Spaß macht“ – so die Bild-Zeitung am 6. 7. 2012. Impliziter Vorwurf: „Wenn er mal keine Lust hat zu arbeiten, liegt er halt dem Steuerzahler auf der Tasche.“ – Anlass, sich mit einer Daseinsform zu beschäftigen, die für über vier Millionen Berufstätige in Deutschland Realität ist: Sie sind als Ein-Mann/Frau-Selbständige mehr oder weniger prekär beschäftigt. Ihnen bleibt in vielen Branchen kaum eine andere Wahl.

Wenn es um den Arbeitsmarkt geht, ist unsere politische Diskussion auf sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, also Angestellte, fixiert. Entweder man hat eine solche Arbeit, oder man hat keine. Wenn man keine hat, gilt man als arbeitslos. Dass es aber unzählige Menschen gerade in kreativen Branchen gibt, die nirgends angestellt sind, sondern fall- oder projektweise gegen Honorar beschäftigt werden, gerät dabei aus dem Blick.

Diese Menschen sind – gewollt oder ungewollt – selbständig und müssen von ihren Honoraren Steuern und Sozialversicherungen bezahlen. Da sie per definitionem nicht arbeitslos werden können (sie sind ja nicht angestellt), sind sie auch nicht in der Arbeitslosenversicherung. Daher haben sie auch keinen Anspruch auf das Arbeitslosengeld I, sondern sind im Falle der Bedürftigkeit sofort auf die Grundsicherung angewiesen: eben auf Arbeitslosengeld II aka Hartz IV.

Nicht anders scheint es bei dem eingangs erwähnten Betroffenen der Fall gewesen zu sein: Er hat die Grundsicherung in Anspruch genommen, wenn er darauf angewiesen war. Das ist ein völlig normaler Vorgang und jedenfalls kein Anlass, dem Bedürftigen Schmarotzertum vorzuwerfen. Inzwischen hat der mittlerweile prominente Betroffene zudem angekündigt, in Zukunft keine Leistungen der Arbeitsagenturen mehr in Anspruch nehmen zu wollen.

Auch bekannte Schauspieler machen es nicht anders: Sie werden im Rahmen einer Produktion für einige Drehtage gebucht und bekommen dafür eine Gage. Wenn diese Gage nun nicht reicht, engagementlose Zeiten zu überbrücken, müssen auch sie sich um Grundsicherung bemühen – und tun dies auch. So schrieb Die Welt schon 2008:

Einige Tausend Schauspieler sind in jüngster Zeit in Hartz IV abgerutscht, da sie keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld erwerben konnten.

Hier ging es im Speziellen darum, dass Schauspieler wegen ihrer tageweisen Engagements oft die Dauer der Beschäftigung nicht erreichen, die sie bräuchten, um Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu haben. Im Allgemeinen verweist der Fall der Schauspieler jedoch auch auf das Phänomen, dass es in den letzten anderthalb Jahrzehnten in Teilen des Wirtschaftslebens üblich geworden ist, Mitarbeiter nicht mehr anzustellen, sondern ihre Leistungen fallweise bei externen Dienstleistern einzukaufen.

Bei vielen Tageszeitungen wurden festen Redakteuren gekündigt; ihre Leistungen erbringen jetzt Zusammenschlüsse von selbständigen Journalisten, die in nicht seltenen Fällen personell identisch mit den zuvor Entlassenen sind. Im Architekturbüro ist der „feste freie Mitarbeiter“ seit hundert Jahren üblich; viele junge Leute am Beginn ihrer Berufskarriene wollen gar nicht angestellt sein, sondern versuchen sich neben dem „freien“ Brot- und Lernjob im etablierten Architekturbüro auf eigene Faust einen Namen zu machen – zum Beispiel über Architekturwettbewerbe, die sie nebenher auf eigene Rechnung bearbeiten. Fotografen oder Videofilmer sind meistens nicht angestellt, sie arbeiten selbständig für ihre Kunden. In Werbe-, Text- oder Grafikagenturen arbeiten ebenso Selbständige wie im Fitnesscenter, in der Physiotherapiepraxis, im Übersetzungsbüro oder in der Softwareentwicklung. Die meisten davon sind Einzelkämpfer, oder sie arbeiten in losen, projektbezogenen Arbeitsgemeinschaften.

Viele haben keine Chance auf eine Festanstellung, obwohl sie sie wünschen, andere wollen sich gar nicht mit Haut und Haar an einen Arbeitgeber binden und genießen die Freiheit, für verschiedene Auftraggeber arbeiten zu können. Gemeinsam ist beiden Gruppen, dass sie unternehmerisch am Markt agieren müssen und stets darauf angewiesen sind, Aufträge zu akquirieren. Dass dies in Zeiten der Krise zunehmend schwieriger wird, weil es weniger bezahlte Aufträge gibt und im Gegenzug mehr Selbständige um diese Aufträge konkurrieren, liegt auf der Hand.

Eine Arbeitsmarktpolitik, die diese Selbständigen nicht zur Kenntnis nimmt, weil sie nur Angestellte als berufstätig wahrnimmt, oder eine Arbeitsamtspraxis, die diese Selbständigen bei vorübergehender Erfolglosigkeit sofort in „Maßnahmen“ zwingt mit dem Ziel, sie umzuschulen, hat noch nicht begriffen, dass man es hier mit einer neuen Art prekärer Beschäftigung zu tun hat, die von den Betroffenen in vielen Fällen auch als bereichernd und befreiend erlebt wird. Wer bei Freiberuflern immer nur an den reichen Arzt oder Apotheker denkt (und ihn in der gesetzlichen Krankenkasse in die Höchststufe zwingt), ignoriert eine immer größer werdende Gruppe von Berufstätigen, die als Kleinst-Unternehmer Innovation und Kultur in diesem Lande in erheblichem Maße befördern. Man sollte ihnen die Instrumente, die sie zu ihrer persönlichen Absicherung brauchen, gewähren wie jedem anderen Bedürftigen auch – statt sie als „Lebenskünstler“ zu verhöhnen.

Geschrieben von Benedikt Hotze

9. August 2012 um 16:22

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