„Sie müssen aufpassen, dass Sie sich in Berlin nicht komplett zum Buhmann machen!“ Diese Drohung richtete gestern der Berliner CDU-Politiker Uwe Lehmann-Brauns an den Landeskonservator Jörg Haspel. Ort: Bürgersaal des Rathauses Zehlendorf in Berlin. Anlass: Ein umstrittener Glaserker von Max Taut aus dem Jahr 1964 am Jagdschloss Glienicke. Jetzt haben auch die Wutbürger von Zehlendorf ein Thema gefunden, mit dem sie es „denen da oben“ mal so richtig zeigen können. Besonders demokratisch ging es auf deren Versammlung allerdings nicht zu.
Wer gestern Abend zu der öffentlichen Veranstaltung kam, um zu erfahren, worum es eigentlich bei dem Architekturstreit um das Jagdschloss Glienicke geht, wurde ganz schön auf die Folter gespannt. Das unstrukturierte und atemlos vorgetragene Eingangsreferat einer Dame der Bürgerinitiative „Weltkulturerbe Glienicke“ versuchte durch vielerlei Zitate, mal aus Unesco-Texten, mal aus Briefwechseln, Positionen zu begründen, die der Besucher gar nicht einordnen konnte. Der am Anfang bereits aufkeimende Verdacht, dass es sich hier um eine Insider-Veranstaltung zur Selbstvergewisserung handeln könnte, bestätigte sich dann im weiteren Verlauf.
Der Casus lässt sich ungefähr so zusammenfassen: Das Jagdschloss Glienicke, am äußersten südwestlichen Zipfel des Berliner Stadtgebiets gelegen, ist im Kern barock, hat aber seine prägende Form hauptsächlich in zwei Ausbaustufen in den sechziger und den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts erhalten (Architekten Ferdinand von Arnim und Albert Geyer). Es ist damit ein historistisches Schlösschen zwischen Neobarock und Neorenaissance von eher überschaubarem kunstgeschichtlichem Wert. Es ist wegen seiner Lage in der Sichtachse zwischen den ungleich bedeutenderen Schinkel-Schlössern Glienicke und Babelsberg dennoch Bestandteil des Unesco-Weltkulturerbes „Schlösser und Gärten von Potsdam und Berlin“ (eingetragen 1991).
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Jagdschloss vor dem Verfall gerettet, indem es durch den bedeutenden Architekten Max Taut 1960-64 zu einer Jugendbildungsstätte des Landes Berlin um- und ausgebaut wurde. Max Taut war neben seinem Bruder Bruno Taut einer der prägenden Avantgarde-Architekten der klassischen Moderne im Berlin der zwanziger Jahre. Sein Umbau des Schlosses wirkte sich auch in der äußeren Ansicht aus: Vor allem ein etwa zwei Meter auskragender Glaserker über drei Fensterachsen in der Breite und zwei Geschosse in der Höhe markiert – zeittypisch für den Umgang der Nachkriegsmoderne mit historistischen Bauten – die Hauptfassade.
Durch einen Brand im Jahr 2003 entstand Handlungsbedarf. Landeskonservator Jörg Haspel legte gestern dar, dass alle beteiligten Gremien um eine Lösung gerungen haben und einvernehmlich zu der Entscheidung gekommen sind, die Zeitschicht „Taut“ als bedeutend für das Jagdschloss Glienicke aufzufassen und beizubehalten. Lediglich im Falle einer bautechnischen Notwendigkeit der Sanierung sollte der Glaserker entfernt und möglichst ansichtsgleich nachgebaut werden. Dieser Fall ist eingetreten: Der Erker erwies sich als so marode, dass er abgenommen wurde. Die Bürgerinitiative will jetzt erreichen, dass statt des Erkers wieder die neobarocke Fassade des Architekten Geyer rekonstruiert wird. Schützenhilfe bekam sie durch den Steglitz-Zehlendorfer Bezirksstadtrat Norbert Schmidt, der nach Amtsantritt im letzten Jahr einen zeitweiligen Baustopp veranlasst hatte. Haspel sieht im Verhalten des Bezirks eine einseitige Abkehr von der Konsensentscheidung.
Schmidt firmierte als „Einladender“ zu dieser Veranstaltung, die immerhin öffentliche Ressourcen im Rathaus Zehlendorf in Anspruch nahm. Es blieb allerdings unklar, wer der Veranstalter war: der Bezirk Steglitz-Zehlendorf oder die beiden auf dem Podium vertretenen Bürgerinitiativen, die im Saal Unterschriftenlisten ausgelegt hatten. Schmidt, der keinen Hehl daraus machte, zu den Taut-Gegnern zu gehören, hatte auch erst gar nicht versucht, ein ausgewogenes Podium zusammenzustellen. Es war vielmehr „Vier gegen einen“ besetzt, wenn man Gastgeber Schmidt bei den „Gegnern“ mitzählt und Landeskonservator Haspel als einzigen Taut-Befürworter ansieht. Die schöne Demokratie des Abends wäre übrigens vollständig zusammengekracht, wenn Haspel (der bis zuletzt lediglich als „angefragt“ geführt wurde) kurzfristig am Kommen gehindert gewesen wäre.
Nachdem Lehmann-Brauns den Tautschen Umbau als eine „zu korrigierende Verunstaltung“ bezeichnet hatte, versuchte er, Landeskonservator Haspel „umzustimmen“, worauf dieser sinnvollerweise nicht einging. Anders als der von keinem Zweifel berührte Architektur-Populist Lehmann-Brauns („Niemand in Berlin ist noch für Taut!“) war Haspel erkennbar um Deeskalation bemüht und sprach selbstkritisch davon, aus dem Vorgang gelernt zu haben und den Dialog mit Bürgern künftig noch früher suchen zu wollen.
Der inzwischen vom Podium ins Publikum gewechselte Stadtrat Schmidt überließ das Wort nun Annette Ahme von der Bürgerinitiative „Schöne Mitte – Schöne Stadt“. Die in Berlin bestens bekannte Retro-Aktivistin hat sich in der Vergangenheit stets für die wahllose Rekonstruktion verlorener Gebäude ausgesprochen: Hauptsache, es sieht irgendwie alt aus. Umso perfider, dass sie sich in diesem Fall ausnahmsweise ein Standard-Argument der Rekonstruktionsgegner zu Eigen macht: „Sie sagen doch immer, was weg ist, ist weg und soll nicht rekonstruiert werden!“ Dass ein im Zuge einer Sanierung ausgewechseltes Bauteil anders zu bewerten ist als eine jahrzehntelange Abwesenheit eines ganzen Gebäudes, ficht sie dabei ebenso wenig an wie die logische Kapriole, dass die von ihr geforderte Wiederherstellung der neobarocken Fassade ja ebenfalls eine Rekonstruktion von etwas wäre, das weg ist.
Was dann folgte, ließ die Unausgewogenheit der Veranstaltung vollends zutage treten. Ahme, die urplötzlich von der Diskutantin zur Moderatorin mutierte, öffnete die Diskussion für Fragen aus dem Publikum. Gleich zu Beginn rief sie fünf, sechs ihr namentlich bekannte Leute auf, darunter ihren Ehemann, während sie eventuelle Taut-Befürworter im Saal trotz Wortmeldung mehrfach konsequent übersah. Nachdem zwei ihrer Mitstreiter am Saalmikrofon ermüdende, gefühlt jeweils fünfzehnminütige Monologe gegen Taut und Denkmalpflege abgeliefert hatten, verließ der Beobachter den Saal. Nach über 100 Minuten war für ihn keine neue Erkenntnis mehr zu erwarten. Eine Besucherin, die sich als Vertreterin des Nutzers, der Jugendbildungsstätte, zu erkennen gab, kam ihm hinterher und berichtete, dass dies schon die vierte Veranstaltung zu diesem Thema war, bei der Taut-Befürworter nicht zu Wort gekommen seien.
Taut soll also getilgt werden, wenn es nach diesen Bürgern geht. Ironie der Geschichte, dass auch Max Taut 1964 „maßstabslose Anbauten“ entfernen ließ, „was von der Denkmalpflege als wesentliche Verbesserung begrüßt“ wurde (zitiert nach Annette Menting, Max Taut – Das Gesamtwerk, München 2003). Das ist eine alte Geschichte in der Architektur: Jede Epoche will immer das weghaben, was die vergangene Epoche geschaffen hat – zugunsten der vorvergangenen. Geben wir der Zeitschicht „Max Taut“ die Chance, von der vergangenen zur vorvergangenen Epoche zu werden – dann wird man sie in Glienicke auch wieder wertschätzen.
Ergänzung: Neue Bilder gibt es in einem neueren Beitrag hier.
Benedikt Hotze
15. Aug 12 um 16:11
[Erklärung:] Ich habe hier einen Diskussionsbeitrag sperren müssen, da er ausschließlich aus einem Zitat aus der „Berliner Zeitung“ bestand und somit womöglich gegen Urheberrechte verstieß.
Klein, Jürgen
13. Aug 12 um 09:31
tzetze Vereint gegen Taut-Erker: Wutbürger in Zehlendorf
Nur soviel; ich habe mich nicht in der Funktion eines Wutbürgers zu der Veranstaltung am Donnerstag begeben.
Es ist allerdings richtig, dass Entscheidungen in der heutigen Zeit nicht in einer gewissen Selbstherrlichkeit von „Fachleuten“ und politischen Institutionen ohne Diskussion in der Öffentlichkeit gefällt werden sollten, und dies ist so ein Fall, zumal es um eine Entscheidung im Bereich eines Weltkulturerbes geht.
Ohne hier auf Ihren allzu polemischen Bericht einzugehen, möchte ich das Augenmerk auf einen Aspekt lenken, der wahrscheinlich nur einem aufmerksamen Hörer vernehmbar war.
Die Fokussierung auf Geyer oder Taut ist absurd. Das Schloss steht inmitten eines Landschaftsparks. Spätestens mit der Wiederherstellung des durch Lenne` geprägten Park, werden kaum lösbare Schwierigkeiten auftauchen.
Sichtachsen, Bezugspunkte zum Schloss bzw. vom Schloss in den Landschaftspark werden durch den geschlossenen Tautgiebel gestört. Eine Wegeführung zur Gartenseite des Schlosses in der ursprünglichen Konzeption, setzt die Öffnung des Schlosses mit Terrasse voraus.
Wie ein Hinweis für den unkundigen Besucher sein könnte, warum die breit angelegte Wegeführung vor einer geschlossenen Fassade endet bzw. warum es keinen Zugang zum Park gibt und Sichtbeziehungen unterbrochen werden, entzieht sich meiner Fantasie.
Es wäre wohl konsequent gewesen, wenn schon hier die Architektur der 60-iger Jahre in ihrem politischen Zusammenhang und ihren Denkansetzen (die Funktion als ausschließliches Kriterium des Entwurfes) gezeigt werden soll, auch den Küchentrakt als Dokumentation zu erhalten.
Viele Wunden wurden in der Nachkriegszeit geschlagen, manche konnten gestoppt werden, durch Nachdenken nach Bürgerprotesten.
Meines Erachtens sind wir da einen Schritt weiter als Ihr Artikel zum Ausdruck bringt.
Dipl.-Ing. Architekt Jürgen Klein
P.S. Kopie an Prof.Dr. Jörg Haspel
Benedikt Hotze
13. Aug 12 um 14:17
Lieber Herr Klein,
an welcher Stelle genau haben Sie meinen milde kritischen Bericht als „allzu polemisch“ empfunden – angesichts einer krass unausgewogenen Veranstaltung, deren Podium „Vier gegen einen“ besetzt war und deren Moderatorin andere Meinungen in der Plenumsdebatte konsequent nicht zu Wort kommen ließ?
Klein, Jürgen
15. Aug 12 um 07:50
Sehr geehrter Herr Hotze,
Die Wahrnehmung Ihrerseits, es handele sich um eine Insiderveranstaltung der Tautgegner, habe ich als allzu polemisch empfunden. Sie untermauern dies noch durch ein Gespräch mit einer frustrierten Vertreterin des Jugendbildungswerkes, die mit Ihnen vorzeitig die Veranstaltung verließ.
Ich stimme Ihnen allerdings zu, dass eine kritische Auseinandersetzung zum Thema in einer von mir erwarteten Offenheit nicht zustande kam. Die dem Podium bekannten Redner nutzten die Veranstaltung mehr oder weniger zur Selbstdarstellung. Die Wortmeldung einer Frau, die sich gleich bei Beginn der Diskussion meldete, kam trotz der Aufforderung, es sollten doch auch Frauen (Ausgewogenheit) ihre Meinung darlegen, nicht zum Zug. War dies vielleicht die Vertreterin des Bildungswerkes, die Sie erwähnen?
Letztendlich sollte aber der Veranstalter nicht für das Ausbleiben von Befürwortern der Entscheidung für den tautschen Giebel verantwortlich gemacht werden. Oder haben Sie da konkrete Hinweise auf eine bewusste Verhinderung?
Mit freundlichem Gruß
Klein
Benedikt Hotze
15. Aug 12 um 16:02
Natürlich habe ich keine Hinweise darüber, dass Taut-Befürworter „bewusst gehindert“ worden wären, dort zu erscheinen. Das wäre ja auch noch schöner!
Aber anhand der Besetzung des Podiums haben sicher Viele schon gar keine Lust gehabt, sich der Veranstaltung überhaupt auszusetzen. Die unausgewogene Besetzung ist dem Veranstalter jedenfalls unbedingt zum Vorwurf zu machen, und insofern danke Ihnen für Ihre (teilweise) Zustimmung.
PS: Ich möchte nicht öffentlich über die Identität von Personen spekulieren, die hinter mir gesessen haben. Meine eigene, mehrfache Wortmeldung wurde jedenfalls angelegentlich übersehen.
Jan Gudenberg
22. Aug 12 um 12:21
Sehr geehrter Herr Hotze,
auch ich war auf der Veranstaltung und habe mich darüber gewundert, dass ein Teilnehmer einen der Gastredner des Podiums durch einen unqualifizierten Zwischenruf zu unterbrechen suchte (es ging um einen Hinweis, dass die Berliner Bevölkerung mehrheitlich ihr Unverständnis über diese vom Landeskonservator erzwungene Denkmalpflege zum Ausdruck brachte).
Trotz dieses ungebührlichen Verhaltens wurde vom Podium aus sachlich entgegnet. Mich hat es sehr gewundert, dass dieser Teilnehmer in der anschließenden Diskussion sich nicht zu Wort gemeldet hat. Die ganz in der Nähe sitzende Leiterin des Sozialpädagogischen Fortbilungsinstituts Berlin-Brandenburg hat ebensowenig keinerlei Anstalten gemacht, sich während der Veranstaltung zu Wort zu melden. Ich hatte dies zufällig bemerkt, da ich in der Näche saß. Im übrigen verhält es sich so, dass – soweit ich es mitverfolgen konnte – sämtliche Wortmeldungen vom Podium berücksichtigt wurden. Es wurde vor Abschluss der Diskussion sogar gefragt, ob noch weitere Wortmeldungen Berücksichtung finden möchten – ohne Reaktion aus dem Publikum. Dass man hier von einer Einseitigkeit auf dem Podium die Rede sein kann, trifft ebenso nicht zu, wenn man sich die Redeanteile während der Diskussion betrachtet: Der Landeskonservator hat hier zwangsläufig dominiert und auch jeweils das letzte Wort, d.h. aus dem Publikum bestand keine Möglichkeit mehr, die Dinge richtig zu stellen, die der Landeskonservator erneut ausweichend oder nicht sachgerecht darstellte. Dass die Befürworter einer denkmalgerechten Wiederherstellung der historischen Parkansicht des Schlosses ausschließlich zu Wort meldeten, dürte nicht verwundern, angsichts des allgemeinen Unverständnisses in der Bevölkerung für diese „denkmalpflegerische“ Fehlentscheidung des Landeskonservators.
Mit freundlichem Gruß
J. Gudenberg