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Theo, wir fahrn nach Wudsch!

2 Kommentare

Wussten Sie, dass der Ortsname Łódź auf Polnisch wie „Wudsch“ ausgesprochen wird? Eine Journalistenreise führte uns jetzt zu dem preisgekrönten Umbau einer Industrieruine in ein Vier-Sterne-Hotel – und in Polens drittgrößte Stadt, die einst als das „Manchester des Ostens“ galt.

Hotel andel’s Lodz

Lodz (ich verzichte fortan auf Sonderzeichen bei den Eigennamen) ist eine Stadt der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts. Es gibt hier keinen historischen Stadtkern, keinen Marktplatz und keine Ortsmitte. Jedenfalls keine punktuelle. Als Ortsmitte gilt vielmehr die vier Kilometer lange ul. Piotrkowska. Sie ist eine prächtige Achse der Gründerzeit, eine Achse, an der sich Banken und neureiche Industrielle mit ihren Palästen verewigt haben.

Die ul. Piotrkowska ist 4 km lang und die Hauptstraße von Lodz

Obwohl das streng orthogonale Straßenraster fast so regelmäßig ist wie das amerikanischer Downtowns, wirkt das Stadtbild merkwürdig uneinheitlich, ja zerrissen. Das liegt zum einen daran, dass im Sozialismus einige wichtige Straßen verbreitert und dafür die Vorderhäuser abgerissen wurden  – man also direkt in die Hinterhöfe blickt –, und es außerdem offenbar damals keine Festlegung der Bauhöhen gab. Anders also als bei der gründerzeitlichen Stadterweiterung Berlins innerhalb des S-Bahn-Rings, wo der Hobrecht-Plan eine durchgängige Bauhöhe von 22 Metern festschrieb, finden wir in Lodz zwei- neben fünfgeschossigen Bauten.

Lodz war ein Zentrum der Textilindustrie, in dem man im 19. Jahrhundert richtig Geld machen konnte. Die damaligen Akteure bestanden aus vier Volksgruppen: Deutsche, Juden, Polen und Russen. Ein Bonmot aus der Zeit geht so: Die Deutschen waren die Unternehmer, die Juden gaben das Geld, die Polen haben geschuftet, und die Russen haben alle drei unterdrückt. Heute ist Lodz natürlich homogen polnisch-katholisch, aber vorzeigbare evangelische oder russisch-orthodoxe Kirchen aus dem 19. Jahrhundert (und sogar eine Synagoge, die die Nazis aus eigentumsrechtlichen Gründen (!) nicht zerstört haben) sind aus dieser Phase des konfessionellen Liberalismus geblieben.

Die großen Fabriken aus Backstein sind Bestandteil des Stadtbildes. Nach dem Zusammenbruch der volkseigenen Kombinate nach dem Umbruchsjahr 1989 sind die meisten Gebäude brachgefallen. Ein Vorzeigeprojekt für die Umnutzung eines großen Industriekomplexes steht im Norden der Stadt: Das Einkaufs- und Kulturzentrum manufaktura, zu dem (städtebaulich) auch das Hotel andel’s Lodz gehört, entstand als Umnutzung der Fabriken des Unternehmers Israel Posnanski. Beim mit Architekturpreisen gekürten Umbau zum Hotel (OP Architekten, Wien/Warschau) ist die mittlere von fünf Längsachsen des historischen Industriebaus aufgerissen worden, so dass eiförmige Öffnungen in den Decken den Durchblick von der Lobby bis zum Tageslicht-Dach ermöglichen. Ein vollverglastes Schwimmbad thront keck auf dem rückwärtigen Mittelrisaliten des revitalisierten Backsteinbaus.

Hotel andel’s Lodz in der ehemaligen Textilfabrik von Israel Posnanski

(Foto perspektivisch korrigiert)


Im Süden der Stadt versucht man, in die Fabriken des Industriellen Karl Scheibler Loftwohnungen einzubauen – offenbar mit weniger schnellem Erfolg. Zu Scheiblers Fabrikstadt gehört auch eine Werkssiedlung mit eigener Schule und eine Werksfeuerwehr, die als eines der schönsten Industriegebäude in Lodz gilt und erfolgreich in Büros umgebaut wurde.

Schule der Scheibler-Werkssiedlung

Scheibler-Werkssiedlung; im Hintergrund die ehemalige Fabrik (heute: Loftwohnungen)

Lodz liegt ziemlich genau in der Mitte Polens und ist per Autobahn gut angebunden – ein Standortvorteil für Tagungen und Kongresse, zu denen Teilnehmer aus ganz Polen anreisen – zum Beispiel für Verkäuferschulungen oder dergleichen. Dennoch steht die Stadt stets im Schatten der 120 km (oder anderthalb Bahnstunden) entfernten Hauptstadt Warschau. Der Zustand vieler alten Wohngebäude in Lodz ist desolat, vieles steht leer. Und da soll jetzt der – bisher schäbige – Hauptbahnhof Lodz-Fabryczna unter die Erde verlegt und darüber ein Kongress- und Kulturzentrum unter Einbezug von historischen Fabrikbauten errichtet werden. Ein merkwürdiges Vorhaben, das Lodz endlich eine Ortsmitte geben soll und doch angesichts der desolaten Substanz darumherum etwas nach Pfeifen im Walde klingt.

Der bislang noch schäbige Bahnhof Lodz-Fabryczna soll unter die Erde verlegt werden

• Mit Dank an VI Vienna International Hotelmanagement AG, Betreiberin des andel’s Hotel Lodz, und dort namentlich Elisabeth Scheiring, für die hervorragend organisierte Journalistenreise Architektur + Kultur nach Lodz am 24. bis 26. Februar 2010

(M)Ein Weg durch Lodz

Moderne in Lodz: Ecke Tuwima/Kilinskiego (Foto perspektivisch korrigiert)

Ein Hof in der Kilinskiego zwischen Traugutta und Tuwina

Kulturhaus Lodz, ul. Traugutta

Am Kulturhaus

Hotel Centrum

Ecke Narutowicza/Kilinskiego

Ecke Wlockiennicza/Kilinskiego

Ecke Pomorska/Kilinskiego

Die selbe Ecke: Pomorska/Kilinskiego

Pomorska Richtung pl. Wolnosci

pl. Wolnosci, der Beginn der Achse Piotrkowska. Welches Bild ist besser? Dieses ohne…

… oder dieses mit Verkehr?

ul. Polnocna. Im Hintergrund der neobarocke Palast des Textifabrikanten Israel Posnanski, heute Museum

Łódzki KS ist ein Fußball-Zweitligist

© Benedikt Hotze 2010. Alle Fotos mit der Kompaktkamera Ricoh R 10

Geschrieben von Benedikt Hotze

27. Februar 2010 um 16:15

2 Kommentare zu “Theo, wir fahrn nach Wudsch!”

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  1. sebastian

    25. Jul 10 um 22:19

    bin in der kilinskiego 60 geboren und aufgewachsen.war gerade mit meiner frau dort um ihr den hof zu zeigen,wo ich die schönste zeit meines lebens verbrachte.nun soll komplex gesprängt werden,damit der bahnhof gegenüber erweitert werde kann.würde das ganze gerne kaufen und neu aufbauen,wer hilft:-))))

  2. Yoschi

    5. Mai 10 um 16:26

    Kocham ten kraj. :-)

    Danke für den Beitrag ist immer wieder schön mal was von seinen Heimatland zu lesen und zu sehen. :-)

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