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Studenten im Villenviertel: Ein Denkmalinventar für Berlin-Dahlem

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Mein täglicher Weg führt durch Berlin-Dahlem. Dahlems Trick zum Jungbleiben: Hier werden täglich 35.000 Studenten in ein verschlafenes bürgerliches Villenviertel gekippt. Nach dem Krieg ist hier die neu gegründete Freie Universität (FU) in ältere Bauten eines Kaiser-Wilhelm-Instituts gesteckt worden; Neubauten folgten. Ein neues Denkmalinventar erzählt materialprall die Geschichte Dahlemer Bauten.

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Die Denkmaltopographie für den Ortsteil Dahlem ist zwar schon 2011 erschienen, hat aber erst kürzlich den Weg auf meinen Schreibtisch gefunden. Denkmaltopographien sind bauhistorische Standardwerke, in denen Fachleute über Bauwerke schreiben, die unter Denkmalschutz stehen. Berücksichtigt wird dabei aber auch die große Linie der baulichen Entwicklung des behandelten Ortes, erwähnt werden also durchaus auch Nicht-Denkmäler. Für Berlin erscheint das Werk schrittweise nach Stadtteilen, neben „Dahlem“ sind für das laufende Jahr 2013 noch drei weitere Bände angekündigt.

Ich blättere in dem 300-Seiten-Band, betrachte die 217 Abbildungen und schlage so manche der 969 Fußnoten nach. Spontan mache ich mir ein paar Markierungen und beschließe, bei meinem Heimweg mit dem Rad an einigen der erwähnten Gebäude vorbeizufahren. Zum Fotografieren habe ich ein Mobiltelefon dabei.

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Das 1966-70 erbaute Institut für Pflanzenphysiologie und Zellbiologie, Königin-Luise-Straße 12/16, steht in fachlicher Verbindung zu den unweit gelegenen botanischen Einrichtungen. […] Auf dem spitzwinkligen Grundstück zwischen Gustav-Meyer-Straße und Altensteinstraße errichtet, bricht das Institutsgebäude radikal mit der traditionellen Bauweise der Dahlemer Forschungsanstalten.

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Kein Walmdach, keine Giebel und Erker, keine Risalite oder Portale suchen eine Annäherung an die Dahlemer Villenarchitektur. Scharfkantige Baukuben, aufgelöst in Sichtbeton, Glas und Stahl, weisen den Institutsbau als konsequenten Vertreter der Moderne aus. Dieses konnte man von dem Architekten des Hauses, Wassili Luckhardt, erwarten, der hier bei seinem letzten Werk dem Formenkanon des Neuen Bauens treu blieb. Ungemein kraftvoll gliederte Luckhardt den breit gelagerten Baukörper analog den beiden Aufgabengebieten des Instituts, Lehre und Forschung. Raumgreifend schwebt ein zweigeschossiger Forschungstrakt über einem ebenerdigen Bauteil für die Lehre, der sich mit seiner verglasten Eingangshalle zur Königin-Luise-Straße öffnet, seitlich von Unterrichts- und Seminarräumen begleitet wird und sich mit einem großen, mittigen Hörsaal rückwärtig herausschiebt.

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In die Halle hinein ragt körperhaft ein verglaster Lichthof, der der Halle auch auf dieser Seite lichte Durchlässigkeit verleiht. Fulminanter Blickpunkt des Hofes, und damit auch des Foyers, ist seine ganzflächige farbige Mosaikwand, dessen abstraktes leuchtendes Farbmuster selbst von der Königin-Luise-Straße her erfahrbar ist. Konzipiert wurde das Kunstwerk von der Ehefrau des Architekten, Hedja Luckhardt-Freese.

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Der Neubau privater Wohnhäuser, der erst 1948 langsam wieder einsetzte, hat vergleichsweise wenige Beispiele hervorgebracht, die in ihrer Qualität an die Zeit vor dem Krieg anknüpfen konnten. […] In Bezug auf die architektonische Gestaltung suchte man bewusst die Abkehr von allen Bautraditionen und den Anschluss an den Funktionalismus der 1920er Jahre. Zu den qualitätsvollen Beispielen gehören das eigene Wohnhaus von Wassili Luckhardt, Fabeckstraße 48 (1957), …

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… sowie Häuser von Hermann Fehling und Daniel Gogel. […] Die beiden Architekten […] führten mit ihrer dynamischen Formensprache die Entwurfsprinzipien Hans Scharouns fort. […] Auf dem Grundstück Kaiserswerther Straße 17 steht eines der unkonventionellsten Einfamilienhäuser Berlins der Nachkriegszeit. Das 1955-56 erbaute Haus Krüger hat der Architekt Hermann Fehling zusammen mit Daniel Gogel und Peter Pfankuch […] entworfen. […] Es ist das früheste Beispiel eines Hauses im eingeschossigen Bungalowstil amerikanischer Prägung, das in Berlin entstand.

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Der Mensabau in der Van’t-Hoff-Straße 6 bildet den westlichen Abschluss des Campus. Noch vor den Fakultätsgebäuden und dem Henry-Ford-Bau als erster Neubau der FU 1953 fertig gestellt, setzte der weiße dreigeschossige Stahlbetonskelettbau […] einen völlig neuen, modernen Akzent. Den Entwurf fertigten die Architekten Hermann Fehling und Peter Pfankuch. Mit den Prinzipien und Materialien des Neuen Bauens – Stahl, Glas und Beton – knüpften die Architekten nahezu nahtlos an die Bauhaus-Tradition an. […] Die offene und lichte Architektur der Mensa […] entsprach in der Berliner Nachkriegszeit der erwünschten politischen Vorstellung von einem demokratischen Universitätsaufbau. So wollte man ein Zeichen setzen gegen die Ostberliner Humboldt-Universität.

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Als Hauptbau des Campus hebt sich unverkennbar der 1952-54 errichtete Henry-Ford-Bau, Garystraße 35/37, aus der Gruppe der Bauten der Nachkriegszeit ab. Der weiß erstrahlende, dem wissenschaftlichen Diskurs gewidmete Bau symbolisiert in seiner für die damalige Zeit ungewohnter Modernität den demokratischen Neubeginn in West-Berlin und in der Bundesrepublik. […] Der Entwurf stammt von den in Wien gebürtigen Architekten Franz Heinrich Sobotka und Gustav Müller, die 1951 als erste Preisträger aus einem Wettbewerb für einen Hochschulcampus in Dahlem hervorgingen. Von ihrem Entwurf eines lockeren, von parkähnlichen Grünzügen durchwobenem Campus wurde nur der Henry-Ford-Bau realisiert.

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Mit ihrem material- und konstruktionsbetonten Stil betonten Sobotka & Müller die Prinzipien des Neuen Bauens der 1920er/-30er Jahre neu, wobei sie klassische Pathosformeln wie Ehrenhof und Tempelfront geschickt einbanden.

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Zu den vergleichsweise wenigen Wohnhäusern in Dahlem, die im Sinne des vom Bauhaus propagierten Neuen Bauens gestaltet wurden, gehört das Wohnhaus Wachtelstraße 4. Im Auftrag der Dahlemer Aufteilungskommission ist es 1927-28 von Bruno Ahrends […] errichtet worden. […] Der Baukörper wirkt mit nur wenigen kleinen Fenstern an Ost- und straßenseitiger Nordfassade verschlossen – er öffnet sich jedoch an der Süd- und Westseite mit in Größe und Form differenzierten Fensterflächen zum einst großzügigen Garten.

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Das Haus Weidlich, Am Hirschsprung 50A, fällt durch seine extravagante Formgebung im Straßenbild besonders auf. Es wurde 1931 nach einem Entwurf des 1933 in die USA emigrierten Berliner Architekten Hans Wormann als Einfamilienhaus im Stil der Neuen Sachlichkeit mit Einflüssen des Art Déco gebaut. […] Das zur Straße hin breit gelagerte […] Gebäude mit Tiefgarage wirkt wie aus einem Baukasten zusammengesetzt.

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In der NS-Zeit sind vergleichsweise wenige großbürgerliche Villen neu gebaut worden, der begüterten Führungsschicht des neuen Staates standen genügend, von jüdischen Vorbesitzern zwangsweise zurückgelassene, repräsentative Häuser zur Verfügung. […] Fritz Schopohl hat mit seinen Häusern, die sich stets durch einfache Baukörper mit knapp sitzenden Satteldächern […] und schlicht gerahmten Fenster- und Türenöffnungen auszeichnen, im Rahmen der Möglichkeiten einen eigenständigen Stil […] geschaffen, […] der zwar auf bodenständigen und handwerklichen Werten fußte, wie sie der damaligen Architekturauffassung entsprachen, der aber in seiner soliden Gradlinigkeit und klassizistischen Strenge frei von nationalsozialistischer „Blut- und Boden“-Mystik war. […] 1936 entstand auf dem Grundstück Van’t-Hoff-Straße 15 das Wohnhaus für den technischen Direktor der Telefunken-Gesellschaft Karl Rottgardt.

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Der Moderne verpflichtet ist der 1994-96 von dem britischen Architekten David Chipperfield streng kubisch gestaltete Backsteinbau Im Schwarzen Grund 25.

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In direkter Sichtbeziehung zum offenen Grünraum des Vogelsang steht das 1907-09 von Friedrich und Wilhelm Hennings errichtete Arndt-Gymnasium, Königin-Luise-Straße 80-84. […] Das Arndt-Gymnasium, nach erheblichen Bombentreffern wieder aufgebaut, erhielt 1973-74 auf dem Schulhof einen Erweiterungsbau von Wolfgang Münster.

Die Zitate stammen aus dem besprochenen Band.

Denkmaltopographie der Bundesrepublik Deutschland
Denkmale in Berlin
Bezirk Steglitz-Zehlendorf
Ortsteil Dahlem
Angelika Kaltenbach, Haila Ochs, Jürgen Tomisch, Michael Hofmann, Katrin Lesser, hrsg. vom Landesdenkmalamt Berlin
21 x 29,7 cm, 304 Seiten, 332 S/W-Abbildungen, Hardcover
ISBN 978-3-86568-679-4
Michael-Imhof-Verlag, Petersberg, 2011
Euro 39,80

Geschrieben von Benedikt Hotze

10. September 2013 um 19:30

1 Kommentar zu “Studenten im Villenviertel: Ein Denkmalinventar für Berlin-Dahlem”

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  1. John Donahoe

    1. Mai 15 um 02:47

    In 1984-1986 we lived in the home at Wachtelstrasse 4. We will be visiting Berlin in late June 2015 and would like to contact the current residents to visit the house. Cam you provide their name, an email address, and/or a telephone number.

    Vielen Dank.

    John Donahoe
    Melbourne Florida

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