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Buchrezension: Architektur in Essen 1960–2013

1 Kommentar

Der zweite Band des Architekturführers für die Großstadt Essen ist erschienen. Viele kuriose Bauten sind darin enthalten – und eine Kritik an der Flächensanierung der sechziger und siebziger Jahre am Beispiel des Stadtteils Essen-Steele

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Ein lustiges Folly: Regattaturm am Baldeneysee. Hier hat der Rezensent als Kind gerudert (Architekt: Horst Lippert/Hochbauamt Essen, 1962)

 

Den ersten Band 1900–1960 hatte ich so besprochen:

Es ist von einem sehr schönen Buch zu berichten, das von Essener Architektur-Enthusiasten gemacht wurde und die Architektur der Moderne in Essen vorstellt. Der Kern des Buches besteht aus einer ambitionierten Strecke, die jedes Gebäude auf je einer Seite mit einem historischen Foto und einem möglichst aus der selben Perspektive aufgenommenen aktuellen Bild zeigt. Dazu gibt es zu jedem Gebäude einen knappen Text. Die Bilder sind in edlem Schwarz-Weiß und in hoher Qualiät auf Glanzpapier gedruckt. Kurz: Das Buch genügt höchsten ästhetischen Ansprüchen.

Der Folgeband beschäftigt sich nun hauptsächlich mit der Architektur der Nachkriegszeit. Manche Bauten habe ich als Kind in den siebziger Jahren entstehen sehen, insofern ist die Konfrontation damit auch ein persönlicher Déjà-Vu-Effekt. Viele Kuriosa sind darunter, und anders als für die Epoche der klassischen Moderne ist nach dem Krieg in Essen wenig wirklich Bedeutendes entstanden – vielleicht abgesehen vom Sakralbau, wo mit Kirchen von Rudolf Schwarz, Gottfried Böhm, Hans Schilling oder Emil Steffan wichtige Projekte realisiert werden konnten (die teilweise schon im ersten Band behandelt wurden – die Zäsur 1960 erweist sich erneut als unglücklich). Erst in jüngster Zeit sind wieder Bauten von überregionalem Interesse entstanden – ob es der Umbau der Zeche Zollverein ist (Foster; Koolhaas; Böll/Krabel; SANAA) oder das Folkwang-Museum von David Chipperfield, die Bibliothek von Max Dudler in Essen-Werden oder der RWE-Turm von Christoph Ingenhoven… Im neuen Band verzichten die Herausgeber auf die Gegenüberstellung von bauzeitlichen Abbildungen mit neu fotografierten Bildern – die Fotos sind größtenteils alle aktuell.

In den Einführungskapiteln vor dem Gebäudeteil beschäftigt sich dieses Buch mit verschiedenen architektonisch-politischen Ereignissen und Strömungen – zum Beispiel mit der Posse um das nach dem Krieg erst wiederaufgebaute neugotische Essener Rathaus, das allen Ernstes in den sechziger Jahren zugunsten eines Warenhauses abgerissen wurde, das inzwischen selbst schon längst nicht mehr steht. Dafür hat Essen an einem anderem Standort das höchste Rathaus Deutschlands bekommen – fünfzehn Jahre später.

Von besonderem Interesse ist die kurze, aber verdichtete kritische Würdigung der „Sanierung“ im Stadtteil Essen-Steele – die inzwischen überregional als Sündenfall und Planungsexzess gilt. Dieses im Kern mittelalterliche Städtchen Steele, 1929 nach Essen eingemeindet und urkundlich sogar älter als Essen, wurde in den sechziger und siebziger Jahren brachial zu einem „Mittelzentrum“ ausgebaut – mit allen Schikanen: sechsspurige Autoschneisen, Wohnhochhäuser und natürlich Flächenabriss erhaltungswürdiger historischer Bausubstanz. Das Irre daran ist, dass „biedere, arbeitnehmerorientierte Sozialdemokraten“ wie OB Katzor hier gemeinsame Sache mit undurchsichtigen Akteuren der Bauwirtschaft machten; dass hier Planer wie der Dezernent Hollatz agieren konnten, die ihr Handwerk in den Wiederaufbaustäben der Nazis gelernt hatten, dass hier überforderte Politiker Planungen abnickten, die schon vorab von „Fachleuten“ entschieden worden waren, und dass schließlich eine Bürgerbeteiligung allenfalls als Feigenblatt durchgeführt wurde. Ich erinnere mich an einen Info-Pavillon mit einem Stadtmodell aus vielen kleinen Hochhausklötzchen, der unterhalb der Laurentiuskirche am Kaiser-Otto-Platz aufgebaut war und hauptsächlich als Urinal missbraucht wurde.

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Vor der Sanierung: Verkehrsprobleme sind nicht zu übersehen – diese Fahrzeuge quetschen sich gleich alle durch eine einspurige Gasse

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Während der Sanierung: Vorindustrielle Fachwerkhäuser wurden flächendeckend zerstört

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Nach der Sanierung: In Steele geht man seitdem ins Center Carrée (Architekt: Walter Brune, 1978). Alle Bilder aus dem besprochenen Band

Mein Bild vom Steele meiner Kindheit hat zwei Facetten: Vor der Sanierung quetschten sich Autos, Linienbusse und Straßenbahnen durch teilweise einspurige Altstadtgassen. Lärm- und vor allem Geruchsbelastung habe ich als Kind als unerträglich empfunden. Es war also sicher richtig, den Verkehr neu zu ordnen und den zentralen Nahverkehrsknoten am vormaligen Bahnhof Steele-West zu bauen.

Das zweite Bild ist das der Abrissbirne: Flächendeckend wurde ortsbildprägende Bausubstanz vernichtet; gründerzeitliche Wohnbauten ebenso wie vorindustrielle Fachwerkhäuser. „Mama, reißen die unser Haus auch ab?“ Wie ein Fanal blieben, ebenfalls neben der Laurentiuskirche, lediglich zwei kleine Fachwerkhäuser erhalten – weil der Eigentümer, ein Arzt, sich dem Sanierungswahn widersetzt hatte. Alternativplanungen gab es – im benachbarten Hattingen wurde zeitgleich die erste behutsame Altstadtsanierung Deutschlands durchgeführt. Doch solche Stimmen wurden in Steele ignoriert. Heute sind viele der als „Sanierung“ errichteten Sozialwohnungsbauten ihrerseits bereits heruntergekommen und sanierungsreif. Es ist verdienstvoll von diesem Buch, auch solche Dinge erwähnt zu haben.

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Berger Bergmann, Peter Brdenk (Hrsg.)
Text von Holger Krüssmann
Mit Fotografien von Wolfgang Kleber
Architektur in Essen 1960–2013
Klartext-Verlag Essen, 2013
220 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Broschur, 14,95 €
ISBN: 978-3-8375-0832-1

 

 

 

 

Geschrieben von Benedikt Hotze

1. März 2014 um 16:13

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1 Kommentar zu “Buchrezension: Architektur in Essen 1960–2013”

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  1. Berger Bergmann

    16. Apr 14 um 10:50

    Sehr geehrter Herr Holtze,
    wie schon beim ersten Band möchte ich mich bei Ihnen für die freundlich zugeneigte Begleitung unseres Buches ganz herzlich bedanken. Es freut mich natürlich, dass es für Sie persönlich einen Anlass gibt sich an Ihre Essener Jugend zu erinnern.
    Verbunden mit den besten Wünschen für Ihren Block, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen.
    Ihr
    Berger Bergmann

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