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Buchrezension: Vor den Zerstörungen der „Sanierung“: Steele – wie es einmal war

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Als Kind und Jugendlicher bin ich in Essen-Steele aufgewachsen. Während dieser Zeit, in den siebziger Jahren, wurde dort eine verheerende Flächensanierung durchgeführt. Ein ansprechendes kleines Buch zeigt jetzt Ansichten aus dem alten Steele vor der „Sanierung“.

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Ich habe neulich schon eine Gelegenheit ergriffen, mich zur „Sanierung“ in Essen-Steele zu äußern. Hier haben politische Technokraten im Schulterschluss mit undurchsichtigen Akteuren aus der Bauwirtschaft die flächendeckende Zerstörung eines selbstbewussten Städtchens, seit 1929 zu Essen gehörend, betrieben. Als Kind habe ich Szenen wie im Bombenkrieg erlebt, als vorindustrielle Fachwerkhäuser und gründerzeitliche, historisierend geschmückte Bauten reihenweise im Schutt versanken. Gewiss, es war die damals gängige Planungsmode, dahinter stand das Ideal der sozial(demokratisch)en Zwangsbeglückung. Heute weiß man, dass es nicht funktioniert hat: sozial nicht (gewachsene Strukturen wurden auseinandergerissen, mit den Neubauten entstanden Problemgebiete), und stadträumlich erst recht nicht. Wo einst Bauernhöfe standen, braust jetzt sechsspurig der Verkehr.

Der Autor Tim Schanetzky hat 1998 mit der hellsichtigen Arbeit „Endstation Größenwahn – die Geschichte der Stadtsanierung in Essen-Steele“ diesen Wahnsinn seziert. Er konnte dabei auf Archive Steeler Bürger zurückgreifen, die eine fast vollständige Gegenüberlieferung aus Sicht der Steeler Bevölkerung zur Verwaltungsüberlieferung bereithielten.

Aus derartigen Archiven speist sich auch das vorliegende Bändchen „Steele – wie es war“. Schon in den siebziger Jahren wurde in einer kostenlos verteilten Anzeigenzeitung „ez-steeele“, die von einer Gemeinschaft Steeler Kaufleute herausgegeben wurde, systematisch Fotos vom alten Steele gezeigt – nicht nur, um eine nostalgische Sehnsucht nach alten Zeiten zu stillen, sondern auch, um wenigstens die übelsten Auswüchse der Sanierung noch abzuwenden – einem Konzept, das 1975 schon längst nicht mehr dem Stand der Fachwissenschaften entsprach.

Das knapp hundertseitige Buch ist geografisch in sieben Spaziergänge aufgeteilt. Als besonders verdienstvoll werden die faktenreichen Bildunterschriften empfunden, die nicht nur genauere Informationen über die gezeigten Bauten transportieren, sondern auch Auskunft darüber geben, was sich jetzt an der Stelle befindet und welche der Bauten sich doch erhalten haben.

Wer sich für die politische Planungsgeschichte anhand des exemplarischen Fallbeispiels Steele interessiert, greift zu dem Schanetzky-Buch. Wer das mit mehr und besserem Bildmaterial unterfüttern will, nimmt dieses Buch zur Ergänzung hinzu. Wer sich lediglich nostalgisch ins „alte“ Steele vertiefen will, dem sei dieses angenehm gemachte Buch ebenso empfohlen.

Steeler Archiv (Hrsg.)
Steele – wie es einmal war
Fotografische Spaziergänge durch den alten Stadtteil

Klartext, Essen, 2012
96 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Hardcover, 14,95 €
ISBN: 978-3-8375-0814-7

Geschrieben von Benedikt Hotze

2. April 2014 um 20:12

1 Kommentar zu “Buchrezension: Vor den Zerstörungen der „Sanierung“: Steele – wie es einmal war”

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  1. Martin Mahadevan

    27. Apr 14 um 16:44

    Fast das gesamte Ruhrgebiet war die Spielwiese unfähiger Kommunalpolitiker, in erster Linie der SPD. Bei diesen Leuten konnte ich persönlich einen pathologischen, grundsätzlichen Altbauhass feststellen. Die autogerechte Stadt mit Schnellspurtrassen durch gewachsene Wohngebiete, Abriss der Arbeitersiedlungen zugunsten von unsäglichen Wohnsilos, seit langem natürlich „soziale Brennpunkte“ und abbruchreif, und in den Innenstädten die üblichen Kaufhausbunker mit Parkhäusern: Mobilität und Konsum, mehr braucht der Mensch nicht, meinen zumindest die Ruhrpott-Sozis, deren „Niveau“ ich oft genug erleben durfte. Was da alles mutwillig kaputt gemacht, nachdem der 2. WK die Altstädte eh schon zerlegt hatte, ist unbeschreiblich. Auch deshalb haben die Städte einen ständigen Niedergang zu verzeichnen, weil dort Leute mit einem halbwegs entwickelten ästhetischem Empfinden auf keinen Fall wohnen wollen. So lebt z. B. fast kein Professor der Uni Duisburg vor Ort, die pendeln alle für zwei Tage die Woche über teilweise große Strecken. Hier jur ein Beispiel für das dortige Kulturproletentum: 1977 wurde eine herausragende Richard-Riemerschmid-Villa, Haus Scholten, in Duisburg nach langem Kampf „endlich“ zerstört. Eine Bürgerinitiative hätte das Haus fast gerettet, doch dann – oh Zufall! – brannte der Dachstuhl und endlich konnten die Bagger anrollen. Die städtische Wohnbaugesellschaft Gebag, eine lukrative Versorgungseinrichtung für verdiente SPD-Genossen, konnte zwei Hochhausklötze dorthin setzen. 1982 wurde direkt daneben eine weitere Jugendstilvilla mit jüdischem Vorbesitzer geplättet, wobei eine herrliche Jugendstil-Holztäfelung, eine mit alten blauen holländischen Kacheln versehende Küche, ein Musikzimmer und eine wunderschöne Fachwerk-Remise geplättet wurden. Kommentar eines großen SPD-Sachkenners: „Weg mit die alte Bude“. Jetzt stehen dort 12 Reihenhäuser, die Piefke-Republik lässt grüßen. Verantwortlich dafür OB Krings, heute als großer „Elder Statesman“ dort verehrt.
    Das ist übrigens absolut repäsentativ für das „Niveau“ der Duisburger Stadtverwaltung. Die Love-Parade lässt grüßen, sowas bringen nur Idioten der Extraklasse zustande. Natürlich ohne jegliche Verantwortung übernehmen zu müssen, wie das im deutschen Beamtenparadies üblich ist.

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