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Radfahren mit elektrischem Rückenwind: Mein erstes Jahr mit dem neuen Pedelec

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„Das sieht ja aus wie ein richtiges Fahrrad!“, sagte ein Kollege erstaunt, als er mein neues Hercules Robert DD 24 sah. „Das ist ein richtiges Fahrrad!“, konterte ich. Unter Elektrorädern verstehen viele immer noch einen Oma-Chopper mit extra tiefem Einstieg, eine Art Mobilitätshilfe für Senioren und Behinderte. Doch hier hat sich in den letzten Jahren technisch und imagemäßig viel verändert. – Ein Rückblick auf mein erstes Jahr mit dem elektrisch unterstützten Fahrrad…

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Wo fangen wir an? Ich erläutere zunächst, wie ich als halbwegs routinierter Alltagsradler mit 50 Lebensjahren zum Jahreswechsel 2014/15 auf die Idee kam, ein Elektrorad zu kaufen. Dann schildere ich meinen – recht kurzen – Auswahlprozess des richtigen Modells. Ein Exkurs soll die rechtliche Situation erläutern und die Begriffe klären. Und dann berichte ich, wie sich das Rad im Alltagseinsatz in der Großstadt fährt, was es kann– und was nicht. Besonders interessant dabei dürften meine Erfahrungen mit der Reichweite des Akkus sein. Erstaunliches Fazit: Die natürlichen Feinde des Elektroradlers sind nicht etwa die Autos, sondern die lieben anderen Radfahrer.

Idee

Zum Jahresbeginn 2015  stand ein Wechsel meines Arbeitsortes an. Bisher hatte ich einen Weg von 2 x 9 km pro Tag, was ich – zumindest in der warmen Jahreshälfte – normalerweise mit dem Fahrrad absolvierte. Doch auch bei dieser mittleren Entfernung gab es oft gute Gründe, den inneren Schweinehund nicht zu überwinden, vor Regen, Kälte oder anderen Indispositionen zu kapitulieren und die U-Bahn zu nehmen.

Der neue Arbeitsweg sollte vom grünen Berlin-Zehlendorf über die dicht bebauten Innenstadtbezirke Schöneberg und Kreuzberg nach Mitte führen – im günstigsten Fall 16 Kilometer pro Strecke, also 32 am Tag. Mir war klar, dass ich dies nicht alltäglich mit reiner Muskelkraft bewältigen wollte – schon allein, um nicht verschwitzt am Arbeitsplatz anzukommen. Andererseits wollte ich das Radfahren als alleinige alltägliche Gelegenheit zur Bewegung nicht aufgeben.

Für einen solchen Anwendungszweck ist die Benutzung eines elektrisch unterstützten Fahrrads, eines so genannten Pedelec, folgerichtig. Ein Pedelec ist keineswegs eine Art Elektro-Mofa, auf dem man bewegungslos sitzt und einfach am Gasgriff dreht, um Vortrieb abzurufen (ein solches Rad nennt man E-Bike, es spielt im Verkehrsgeschehen aber keine Rolle). Ein Pedelec hingegen unterstützt die vom Fahrer durch Treten aufgebrachte Bewegung durch eine Art „elektrischen Rückenwind“. Dazu später mehr.

Auswahlprozess

Ich ging also zum Fahrradhändler meines Vertrauens, bei dem ich meine beiden vorigen Räder der Marke VSF Fahrradmanufaktur (jeweils T 100) gekauft hatte. Zu meiner Überraschung hatte der „alternative“ Händler in der Kreuzberger Oranienstraße aber kein einziges Pedelec im Laden zum Vorführen. „Sowas geht bei unserer Kundschaft nicht!“ Er hätte eines bestellen müssen und zeigte mir Kataloge. Das in Frage kommende Pedelec der Fahrradmanufaktur sollte 2.800 Euro kosten. Ich hatte mich insgeheim schon damit abgefunden, in dieser Größenordnung zahlen zu müssen, denn ein Discounter-Rad aus dem Baumarkt wäre für mich wegen der darin versteckten Billigkomponenten nicht in Frage gekommen. Doch das Manufakturrad hatte schon im Prospekt Mängel: So hatte es „nur“ eine Zehngang-Kettenschaltung, also hinten eine Kassette mit zehn Ritzeln, vorne jedoch nichts. Der Händler meinte, bei einem Elektrorad sei das ausreichend, doch ich war skeptisch. Ich wollte die gewohnte 3 x 7 oder 3 x 8-Schaltung nicht missen, denn, so meine Vision, bei anderen als den reinen Arbeitswegen wollte ich den zwei Kilo schweren Akku zuhause lassen und rein mit Muskelkraft fahren – da sollte das Rad dann den gewohnten Schaltungskomfort liefern. Ein weiterer Nachteil des Manufakturrades: Es verzichtet auf einen Nabendynamo; die Lichtanlage wäre also nur über den Akku gespeist worden. Ohne den wäre das Rad unbeleuchtet und damit nicht zugelasssen gewesen.

Tatsächlich bin ich mit dem neuen Rad bisher nur sehr selten „unelektrisch“ gefahren: einmal auf einer Radtour mit Rücksicht auf meine nichtmotorisierte Mitfahrerin, und einige Male „zum Brötchenholen“, wobei sich das Radfahren auf einmal wieder sehr zäh anfühlte. Man gewöhnt sich sehr schnell an den elektrischen Rückenwind!

Der VSF-Händler verwies mich netterweise auf die Konkurrenz von der ZEG. Tatsächlich hatte Stadler in einer riesigen Halle 70 Pedelecs zum Ausprobieren fahrbereit. Meine Wahl fiel schnell auf das Hercules Robert 24 DD. Das „Auslaufmodell“ des Modelljahrs 2013 kostete im Dezember 2014 nicht 2.200 Euro (Liste), sondern nur 1.400 Euro – also genau die Hälfte des Manufakturrades. (Für den Preisvergleich muss man allerdings fairerweise sagen, dass das Manufakturrad einen Akku mit 400 Wh hatte, das Hercules-Rad jedoch nur einen mit 300 Wh. Der Zukauf eines 400-Wh-Akkus hätte mich bei Stadler zusätzlich 600 Euro abzüglich 10% Rabatt gekostet, was ich erstmal nicht gemacht habe). Stadler konnte die für mich passende Rahmengröße in einer bayerischen Filiale orten und innerhalb weniger Tage beschaffen. Obwohl es ein Ausverkaufs-Schnäppchen war, konnte man mir also ein individuelles Angebot machen. Da sah ich dann großzügig darüber hinweg, dass der offenbar in eiligen Schulungen angelernte Verkäufer grundsätzliche physikalische Zusammenhänge zur Akkukapazität falsch wiedergab.

Die Marke Hercules hat mit dem eingegangenen Nürnberger Traditionshersteller dieses Namens nichts zu tun, sie gehört heute nach Umwegen über die Niederlande der ZEG. Es ist also eine Eigenmarke dieser Einkaufsgemeinschaft wie z.B. auch Pegasus. Die Hercules-Räder werden in Ungarn gebaut (bzw. zusammengebaut). Hercules nennt diese Serie seiner Elektroräder „Robert“ (für die Herrenmodelle) und „Roberta“ (für die Damenmodelle). Der Name soll auf den Elektropionier Robert Bosch verweisen.

Interessant ist bei meinem Rad das Schaltungskonzept: Da die Position am Tretlager durch den Bosch-Mittelmotor belegt ist, besteht die Schaltung aus einer kombinierten Ketten- und Nabenschaltung am Hinterrad: Acht Ritzel an der Kette und drei übergeordnete Schaltstufen in der Nabe. Diese SRAM-Schaltung heißt daher „Dual Drive“ (DD). Abgesehen davon, dass sie bald nach Kauf justiert werden musste, funktioniert die Schaltung einwandfrei. An die Bedienung mit Drehgriffen musste ich mich allerdings gewöhnen. Das Rad ist gefedert (Sattelstütze und Gabel) und hat feine, giftig zupackende Hydraulikbremsen. Ansonsten entspricht es im Look and Feel meinen bisherigen Trekkingrädern. Der schon erwähnte Bosch-Mittelmotor (der innerhalb weniger Jahre zum Quasistandard für viele Pedelecs wurde) ist optisch kaum auffällig, und der Akku sitzt am vorderen Unterrohr des Rahmens, so dass man ihn auch für eine Trinkflasche oder ein großes Schloss halten könnte.

Rechtliche Situation und Begriffe

Erstaunlich für das überregulierte Deutschland ist die lässige Einstufung der Pedelecs als Fahrrad, sofern die motorische Unterstütztung nur 250 Watt beträgt und bei Erreichen von 25 km/h endet. Ein solches Pedelec ist also kein Kraftfahrzeug! Die Vorteile sind evident: Als Fahrrad braucht es keine Zulassung und keine Versicherung (daher auch kein Kennzeichen), der Fahrer darf (wenn er das möchte) „andere“ Radwege benutzen (benutzungspflichtige muss er benutzen), es besteht keine Helmpflicht – und für den, der es unbedingt ausnutzen möchte, gelten die etwas lascheren Promillegrenzen für Radfahrer statt derer für Kraftfahrer.

Neben den weitverbreiteten Pedelecs mit der Unterstützung bis 25 km/h gibt es noch die so genannten S-Pedelecs mit einer Untestützung bis 45 km/h. Diese gelten als Kleinkraftrad und brauchen Helm und Versicherungskennzeichen. Ich habe im ganzen Jahr 2015 auf der Straße etwa zwei S-Pedelecs gesehen, diese Fahrzeuggattung spielt also im Verkehrsgeschehen keine nennenswerte Rolle. Das ist auch gut so, denn mit einem nach Fahrrad aussehenden Fahrzeug, das tatsächlich Leistungen wie ein Motorroller hat, möchte ich nicht unterwegs sein.

Pedelecs werden in der Umgangssprache (und auch in der Werbung) gerne als E-Bikes bezeichnet, wobei diese Bezeichnung ursprünglich, wie schon gesagt, für eine allein elektrisch angetriebene Fahrzeuggattung benutzt wurde. Daher bleibe ich bei dem an sich unschönen Kunstwort Pedelec (Pedal Electric Cycle).

 Alltagseinsatz

Die elektrischen Komponenten bestehen aus drei Teilen: dem fest verbauten Mittelmotor am Tretlager, dem abnehmbaren (und abschließbaren) Akku und dem ebenfalls abnehmbaren Bediencomputer am Lenker, der aussieht wie ein überdimensionierter Fahrradtacho. Ohne diesen Computer funktioniert die elektrische Unterstützung nicht. An diesem Computer lassen sich vier verschiedene Unterstützungsstufen einstellen (plus die Option „ohne“). Richtig Spaß macht nur die höchste Stufe, allerdings ist damit auch der Stromverbrauch am höchsten (dazu später mehr). Wer zum ersten Mal aus dem Stand mit der höchsten Stufe auf 25 km/h beschleunigt, kommt um einen Wow-Effekt nicht herum: Das ist ein Riesenspaß, wenn dich eine unsichtbare Hand am Schlafittchen packt und das Fahrrad nach vorne reißt. Den Elektromotor hört man sogut wienicht, klackernd schnalzt ein Gang nach dem nächsten rein (schalten muss man wie eh und je), und ehe man es sich versieht, sind die 25 km/h erreicht. Dann fährt man mit etwa 26 oder 27 km/h recht mühelos auch ohne elektrische Unterstützung weiter. Das ist Physik: Energie wird für Beschleunigung gebraucht, nicht für statische Bewegung. Sofern also Luft- und Reibungswiderstand nicht da wären, bräuchte man für die Aufrechterhaltung der Geschwindigkeit keine Energie.

Die elektrische Unterstützung sorgt also vor allem für Beschleunigung. Das hat Folgen für das Verkehrsgeschehen: Mit dem Elektrorad sollte man sich an der Ampel immer vorne vor den anderen wartenden Radfahrern postieren, um zügig beschleunigen zu können – ansonsten verschenkt man einen wesentlichen (Zeit-)Vorteil der elektrisch unterstützten Fortbewegung. An mehreren Stellen meines Wegs weiß ich mittlerweile, wo ich eine bestimmte Ampelphase noch „schaffe“, wenn ich gleich als erster bei „Grün“ wegkomme.

Wer schnell beschleunigt und schnell fährt, muss gegebenenfalls überholen. Die in Berlin mittlerweile üblichen abmarkierten Fahrradspuren auf der Fahrbahn sind meistens zu schmal, um dort andere Räder zu überholen, ohne auf die „Autospur“auszuweichen – insbesondere wenn das überholte Rad mittig aus diesem Streifen fährt. Soll man „von hinten“ klingeln und damit andere Radfahrer erschrecken oder verunsichern? Nein. Dann lieber demütig auf eine gefahrlose Gelegenheit zum Überholen warten.

Die schnelle Beschleunigung und die relativ hohe Geschwindigkeit werden von vielen Verkehrsteilnehmern unterschätzt. Da biegt noch einer schnell vor dir ab, ein Fußgänger meint, die Straße noch überqueren zu können, und andere Radfahrer rechnen auch noch nicht mit dir, so dass öfters defensives Fahren erforderlich ist. Der Zeitvorteil ist also insgesamt im vollverampelten Innenstadtbereich geringer als angenommen, ein trainierter Radfahrer ist ohne Motor ähnlich schnell am Ziel. Aber man kommt nicht ins Schwitzen! Und es ist schon ein großer Spaß, eine längere Steigung ohne große Anstrengung mit 25 km/h hochzusausen!

Reichweite

Mein Rad ist, wie erwähnt, mit einem (abnehm- und austauschbaren) 300 Wh-Akku ausgerüstet; inzwischen ist im Modelljahr 2016 der 400 Wh-Akku Standard, und der „größere“ hat 500 Wh. Wie weit kommt man damit? Kaum ein Feld, bei dem die Antwort „Es kommt darauf an“ so berechtigt ist wie hier.

Die elektrische Unterstützung lässt sich in vier Stufen regeln. Ein neuer und voller Akku zeigt in der vierten und höchsten Stufe am Anfang knapp 50 km Reichweite an; 48 km war zu Anfang ein typischer Wert. In der niedrigsten Stufe war der Wert leicht zweistellig. Der tatsächliche Stromverbrauch hängt von der gewählten Unterstützungsstufe, vom Fahrverhalten und natürlich der Topografie ab: Wer konstant steil bergauf fährt (zum Beispiel im Gebirge), wird nur einen Bruchteil der Kilometer schaffen, die in der Ebene möglich sind.

Kleine Balken auf dem Display zeigen an, wie stark der Motor jeweils „hilft“: Wer kräftig in die Pedale tritt, erzielt hohe Geschwindigkeiten, aber auch einen geringeren Stromverbrauch gegenüber demjenigen, der nur mit minimalem Drehmoment tritt und sich vom Motor „ziehen“ lässt. Die Steuerungslogik darf als adaptiv und sensibel bezeichnet werden.

Auffällig sind die Schwankungen der Reichweitenanzeige. Oft verändert sie sich innerhalb weniger hundert Meter Wegstrecke um mehrere Kilometer. Was zunächst wie ein Fehler wirkt, hat aber System: Die Reichweitenanzeige ist eine Hochrechnung auf der Basis des gegenwärtigen Fahrverhaltens: 45 km Reichweite bedeuten, dass man noch 45 km lang die elektrische Unterstützung hat, sofern man diese weiterhin genau so wie im Augenblick abrufen wird. Wer ohne Motorhilfe einen Berg herunterfährt, gewinnt Kilometer; wer mit Motor einen hochfährt, „verbraucht“ Kilometer in schneller Folge. Eine Rekuperation von elektrischer Energie beim Bremsen oder Bergabfahren ist hier nicht möglich (und würde auch nicht allzu viel bringen).

Nach einer Nutzung von ca. 2500 km im ersten Jahr hat mein Akku etwas an Kapazität verloren; oft zeigt der volle Akku jetzt nur 42 oder manchmal auch nur 39 km Reichweite an. Bei zurückhaltender Fahrweise bleiben diese Werte aber kilometerlang stehen. Bisher habe ich die 32 km des Tageswegs meist mit noch rund 10 km Reserve geschafft; kommen weitere Fahrten dazu, kann es schon mal eng werden. Gut, dass man die Unterstützung dann verringern oder im Extremfall auch ganz auf den Motor verzichten kann. Abgesehen von ein paar Kilo Mehrgewicht fährt sich das Rad dann nämlich wie ein ganz normales Rad. Nur will man das nicht mehr haben ;-)

Geschrieben von Benedikt Hotze

25. April 2016 um 18:19

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