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Rauchfrei in Berlin – ein kleiner Presseskandal

1 Kommentar

„Forum Rauchfrei“ – das ist ein Verein der Nichtraucherlobby. Und der hat es gestern geschafft, eine  Pressemitteilung ungeprüft in alle Berliner Lokalzeitungen von „taz“ bis „Morgenpost“ zu lancieren. Demnach – Alarm, Alarm! – soll selbst im gutbürgerlichen Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf jedes vierte Speiselokal den Nichtraucherschutz missachten. Wir machen uns gewiss nicht für Tabakqualm in der Gastronomie stark – aber  beim Versuch, die Zählungen des Vereins vor Ort nachzuvollziehen, sind wir bei deutlich harmloseren Ergebnissen gelandet. Ist das Ganze also eher ein kleiner Presseskandal?

Wer sich zum Thema „Rauchen in der Öffentlichkeit“ äußert, sollte seine eigene Position kurz vorab verorten – damit man versteht, aus welcher Ecke die Äußerung kommt. Ich bin Nichtraucher, habe früher aber auch mal geraucht, und ich bin recht froh, dass ich seit drei Jahren meine Kleidung nicht mehr in die Reinigung geben muss, nur weil ich eine Pizzeria aufgesucht habe. Das Rauchverbot in der Gastronomie, zumindest in dezidierten Speise-Restaurants, hätte man schon vor zwanzig Jahren einführen sollen. Andererseits habe ich etwas gegen staatliche Bevormundung aller Lebensbereiche. Wer sich in der mittlerweile berühmten „getränkegeprägten Kleingastronomie“ aufhält, vulgo in der Bierkneipe an der Ecke herumdümpelt, der ist in den meisten Fällen Raucher – ob als Wirt oder Gast, ist dabei fast egal. Der Staat sollte diese Leute in Ruhe (rauchen) lassen, denn sie bleiben eh unter sich. Sie müssen nicht vor sich selbst geschützt werden.

Anders sieht es in Speiselokalen aus. Hier hat der Gast tatsächlich einen Anspruch darauf, nicht vollgequarzt zu werden, nur weil er etwas essen möchte. Aber gerade diese Speisegastronomie sei nun besonders anfällig für Regelverstöße, behauptet der Verein. Er arbeitet dabei mit suggestiven Formulierungen: Er vermisse in jeder vierten Gaststätte den Schutz vor Passivrauch. Beim gemeinen Zeitungsleser kommt an, dass in jedem vierten Restaurant hemmungslos geraucht wird. Tatsächlich beklagt der Verein oft nur eine im Detail mangelhafte bautechnische Abtrennung des (erlaubten) Raucherraums. Im Einzelfall sicher unschön, aber eben auch keine weit verbreitete Total-Ignoranz des Nichtraucherschutzes.

Die schlaumeierischen Formulierungen des Vereins haben mich jedenfalls dazu angestachelt, das Ganze selbst in Augenschein zu nehmen. Als Journalist und Bürger, nicht als Lobbyist. Und ergebnisoffen. Das Ergebnis hat mich dann aber doch erstaunt.

Ich habe mich an der Versuchsanordnung des Vereins orientiert. Der will an einem Wochenende zwischen 20 und 2 Uhr nachts gezählt haben. Ich war nun am gestrigen Dienstag (3. August 2010) unterwegs, und zwar nach 22 Uhr – also jener ominösen Uhrzeit, ab der die Gastronomiebranche unter der Woche keine Kontrollen des Ordnungsamtes mehr erwartet. Viel später hätte ich nicht kommen dürfen, denn viele Speiselokale waren nach 22 Uhr schon relativ leer. Andererseits ist die späte Stunde natürlich besonders viel versprechend, weil man zu dieser Zeit die eine oder andere Laxheit erwarten kann.

Das „Forum Rauchfrei“ hatte seinen Fokus auf rund 40 Speiselokale in Charlottenburg-Wilmersdorf gelegt, als Straßen wurden genannt: Uhlandstraße, Ludwigkirchplatz, Pariser Straße und Schlüterstraße, letztere „bis Savignyplatz“ (was geografisch nicht ganz hinhaut). Diesen Weg im Zentrum der Berliner City-West bin ich abgelaufen – und fühlte mich sofort mies: als Spitzel, der anderen Menschen hinterher spioniert und ihnen ihr Vergnügen nehmen will. Ich musste mich mit dem Gedanken beruhigen, dass ich kein Denunziant bin, sondern ein Berichterstatter. Ein Berichterstatter, der veröffentlichte Behauptungen entweder verifizieren oder falsifizieren will. Dazu muss ich konkret werden. Deswegen nenne ich im Folgenden die Namen der Lokale und ihre Policy zum Thema Rauchen nach dem Augenschein. Das Label „negativ“ bedeuten dabei, dass eben kein Rauchen festgestellt wurde: „Negativ“ ist hier also so etwas wie „gut“.

Pariser Str. 59, Café Atyin: negativ (22:08)

Pariser Str. 59, Café Jetlag: negativ (22:10)

Pariser Str. 58, Discothek Cesar: als Raucherclub gekennzeichnet (wohl regelwidrig, da keine getränkeorientierte Kleingastronomie), um diese Zeit noch keine Gäste, aber deutlicher Zigarettengeruch vom Vorabend (22:10)

Pariser Str. 56/57, Namascar: negativ (22:10)

Pariser Str. 48, Ristorante Caruso: negativ (22:11)

Uhlandstr.  48, La Fiamma: negativ (22:13)

Uhlandstr. 153, Da Giorgio Mini Pizza: negativ (22:15)

Ludwigkirchstr. 11 Manzini: negativ (22:16)

Ludwigkirchstr 14, Fagiano: negativ (22:17)

Ludwigkirchstr. 6, Hamlet: negativ (22:21)

Ludwigkirchstr. 9, Kaffeehaus Ottenthal: negativ (wird gerade geschlossen; 22:22)

Pariser Str. 15, Weinkost: negativ (22:23)

Pariser Str. Ecke Pfalzburger Str., am Ludwigkirchplatz, Weyers: im Hauptraum mit Theke wird geraucht, als Raucherbereich gekennzeichnet, Aschenbecher sind gedeckt, Nebenräume rauchfrei, Abgeschlossenheit durch Glastür. Raumaufteilung dennoch offenbar regelwidrig (22:25)

Ludwigkirchplatz Ecke Pfalzburger Str., Kuchel-Eck: im Hauptraum mit Tresen wird geraucht; Restaurant im Nebenraum mit eigenem Eingang von außen, innen mit Glasschiebetür abgetrennt: rauchfrei. Raumaufteilung dennoch offenbar regelwidrig (22:32)

Ludwigkirchplatz Ecke Emser Str., Route 66 Diner: negativ (22:35)

Pariser Str. 43, Mizuchi Sushi: negativ (22:38)

Pariser Str. 42, Pizza Factory: negativ (22:40)

Pariser Str. 18, Poco Loco: negativ (22:41)

Pariser Str. 18a, Okeh: mit Glaswand abgetrennter, großer Nebenraum als Raucherraum genutzt, Hauptraum mit Tresen rauchfrei, offenbar regelkonform (22:43)

Pariser Str. 18a, Brasserie Marcivo: negativ (22:44)

Pariser Str. 19, Solo: negativ (22:45)

Pariser Str. 39/40, Falafel Mama: negativ (22:46)

Pariser Str. 38, Friend’s Cocktailbar: als Raucherlokal ausgewiesen, kein Speisenangebot, offenbar regelkonform, da getränkeorientierte Kleingastronomie (22:48)

Pariser Str. 22, Mr. Sushi: negativ (22:50)

Württembergische Str. 8/10, mr hai sushibar: negativ (22:51)

Kurfürstendamm 51, Paul: negativ (22:56)

Schlüterstr. 47, Ovest: negativ (22:58)

Schlüterstr. 33, Adnan: negativ (22:59)

Schlüterstr. 33, Sushi Bar: negativ (23:01)

Schlüterstr. 52, Mondo Pazzo: negativ (23:02)

Schlüterstr. 52, QBA Cocktail Bar: negativ (23:03)

Mommsenstr. 9, Marjellchen: negativ (23:04)

Bleibtreustr. 17, Eingang Mommsenstr., AnnaLee: negativ (23:06)

Mommsenstr. Ecke Bleibtreustr., Reste fidele: negativ (keine Gäste mehr; 23:07)

Knesebeckstr. 77, Vagabund-Club:  als Raucherlokal ausgewiesen, offenbar regelkonform (noch keine Gäste, Barkeeper raucht vor der Tür; 23:13)

Else-Ury-Bogen 593 (am Savignyplatz), Petrocelli’s Bar: negativ (23:16)

Savignyplatz 1, Brel: negativ (eventuell kleiner, abgetrennter Raucherraum im rückwärtigen Teil vorhanden; 23:17)

Grolmannstr. 47, Diener Tattersall: Hier wird an allen Tischen geraucht, obwohl zubereitete Speisen angeboten werden: offensichtlich regelwidrig (23:19)

Zur Methodik muss noch angemerkt werden, dass trotz des eher kühlen und unbeständigen Sommerabends die meisten Lokale Freiluft-Sitzplätze vor dem Haus angeboten haben, an denen durchgängig geraucht wurde. Die Zählung bezieht sich nur auf Innenräume. Bei schlechterem Wetter sind also andere Zählungsergebnisse denkbar.

Nun zum Fazit: Nach der alarmistischen Pressemitteilung des Lobbyvereins war ich bass erstaunt, dass von 38 getesteten Lokalen lediglich ein einziges ganz eindeutig gegen den Nichtraucherschutz verstößt. Dieses Lokal, eine Alt-Berliner Traditionskneipe, ist keinesfalls als „inhabergeführte, getränkegeprägte Kleingastronomie“ anzusehen, da es dort bis fast Mitternacht warme Küche gibt und augenscheinlich angestellte Kellnerinnen tätig sind. Nach der geltenden Regel dürfte hier also keineswegs geraucht werden.

Weniger eindeutig sind die weiteren Fälle: Insgesamt drei Gaststätten bezeichnen sich als Raucherlokale und weisen mit einem Schild schon von außen darauf hin. Hier kann der Gast also vorher entscheiden, ob er sich dem Rauch aussetzen will. Allerdings scheinen nach meinem Dafürhalten nur zwei Lokale tatsächlich zur „getränkegeprägten Kleingastronomie“ zu gehören; eine Discothek erfüllt hingegen die Definition offensichtlich nicht. Es ist also streng genommen ein „illegales“ Raucherlokal.

Bleiben die vier Lokale, die sowohl Raucher- als auch Nichtraucherräume anbieten. Auch hier ist nur eines regelkonform ausgestattet, während drei weitere den Hauptraum zum Raucherraum machen und die Nichtraucher in Nebenräume abschieben. Nach der geltenden Regel müsste es umgekehrt sein.

Selbst wenn wir hier also sehr kleinlich sein wollten, ist doch zunächst einmal festzustellen, dass in immerhin 81,6% der Lokale überhaupt nicht geraucht wird! Lediglich in 2,6% der Lokale wird eindeutig regelwidrig geraucht, in weiteren 7,9% wird unter Strapazierung der Regeln geraucht, und in 7,9% wird schließlich völlig legal geraucht. Somit komme ich auf gerade mal 10% Regelverletzer. Wie der Verein da auf eine Quote von 25% („jedes vierte“) regelwidriger Raucherlokale kommen will, erschließt sich mir nicht.

Rauchen hin oder her: Das eigentliche Ärgernis ist, dass die Presse die Behauptungen des Vereins ungeprüft übernommen hat. Mit diesem kleinen Versuch möchte ich dieser Berichterstattung Fakten entgegensetzen.

Geschrieben von Benedikt Hotze

4. August 2010 um 15:39

1 Kommentar zu “Rauchfrei in Berlin – ein kleiner Presseskandal”

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  1. C. Kozlik

    23. Jun 11 um 23:48

    Danke für Ihr Engagement – und die Adressen…

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