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Wachsmann und Schauburg in Jüterbog

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Ein 15-Minuten-Abstecher nach Jüterbog im Süden Brandenburgs zeigt zwei Bauten der Moderne: Das Wachsmannhaus und das Kino Schauburg, das als dachlose gesicherte Ruine seiner Zukunft entgegensieht.

Auf der Durchreise in Jüterbog fahren wir zu der Adresse Bleichhag 6. Ziel ist das so genannte Wachsmannhaus. Bevor wir das eher unscheinbar wirkende gelbe Kaffeemühlenhaus mit Zeltdach würdigen können, fällt eine bizarre Ruine auf: Im Schatten eines großen wilhelminischen Schulbaus und neben dem örtlichen Busbahnhof steht die Schauburg mit ihren kolossalen Pfeilerordnungen an Giebel- und Seitenfront. Eine Datierung ist auf den ersten Blick schwierig: Weimarer Republik? Nazizeit? Stalinismus? Am liebsten würden wir sie dem italienischen Razionalismo der 30er Jahre zuordnen…

Das Kino ist als Mehrzwecksaal für die Stadt Jüterbog 1935/36 von dem Architekten Paul Backes errichtet worden. Hier müssen mal die regionalen Zeitungen mit ihren Internet-Auftritten gelobt werden, denn diese Info verdanken wir der Märkischen Allgemeinen Zeitung 

Paul Backes war der Architekt, der die klassische Moderne im benachbarten Luckenwalde geprägt hatte. Bemerkenswert an diesem Bau, dass Backes nicht die hohlen neoklassizistischen Würdeformeln der nationalsozialistischen Repräsentationsarchitektur à la Speer bringt, sondern deren modernistisch-abstrahierte Variante.

Der Schauburg ist eine Zukunft zu wünschen. Ein Anfang wurde gemacht: 2013 erwarb die Stadt das Objekt und sicherte die Ruine, deren Dachtragwerk 2007 eingestürzt war. Die Eingangsstufen wurden erneuert, weil sie der Jugend der gegenüberliegenden Schule   schon immer als Sitzgelegenheiten dienten.

Über Konrad Wachsmann ist in der DDR der „Wachsmann-Report“ veröffentlicht worden. Sein Haus Estrich von 1929 ist sein erstes Werk als Freier Architekt und sein einziger Massivbau.

Zum Wachsmannhaus zitieren wir den Denkmal-Eintrag:

Grundstück unmittelbar an der Stadtmauer gelegen, mit Resten eines runden Geschützturms. Das Wohnhaus errichtet 1929 als verputzter Ziegelbau nach Plänen von Konrad Wachsmann für den Arzt Dr. Estrich; Ausführung durch das Baugeschäft Paul Schaefer, Jüterbog (a).Straßenseitig kubischer, zweigeschossiger Bau mit Zeltdach und sparsamer, asymmetrischer Fensterverteilung, an den sich nach Osten ein geschwungener eingeschossiger Trakt über hohem Kellergeschoss mit abschließender Garage anschließt; dieser Trakt mit Flachdach, großen querrechteckigen Fenstern und Oberlicht-Beleuchtung in Formen des Neuen Bauens. Das Erdgeschoss ursprünglich von der Arztwohnung eingenommen; im zweigeschossigen Teil Entrée, Wohn- und Essraum, Küche; im eingeschossigen Trakt Schlafzimmer der Eltern und der Kinder, Bad, Ankleidezimmer, Mädchenzimmer und Kinderspielzimmer. Di e Arztpraxis befand sich im Obergeschoss des straßenseitigen Trakts. Auf der Nordseite die getrennten Eingänge zu Wohnteil und Praxisräumen über eine breite Freitreppe zu erreichen. Auf der nach Süden orientierten Gartenseite vor der ganzen Breite des Hauses eine Terrasse. Heute das gesamte Erdgeschoss von Arztpraxen eingenommen, dabei die ursprüngliche Raumstruktur ebenso wie Türen, Klinken, Fenster, Oberlicht erhalten. Das Obergeschoss zur Wohnung umgebaut. Das Wohnhaus Dr. Estrich ist das einzige Zeugnis des Neuen Bauens in Jüterbog. Auf der Straßenseite eher von konventioneller Wirkung, fügt sich das Haus problemlos in die bestehende Bausubstanz ein. Seine Modernität (Flachdach, querrechteckige Fenster) erschließt sich von der Gartenseite aus. Bezeichnend für den Villenbau der Zeit ist die zur Straße hin fast abweisende Wirkung bei gleichzeitiger Öffnung des außerordentlich großzügigen Wohnbereichs zum von der Straße nicht einsehbaren Garten. Bemerkenswert sind die zahlreich erhaltenen Details im Inneren. Im Werk Konrad Wachsmanns nimmt das Haus als erstes Projekt, das er als freiberuflicher Architekt verwirklichte und als sein einziger Massivbau eine besondere Stellung ein.

Geschrieben von Benedikt Hotze

5. August 2018 um 02:38

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