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Der Rechtsstaat

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Die Idee des demokratischen Rechtsstaats hat es zur Zeit schwer. In unserer Jugend haben wir aus Daffke dagegen opponiert, weil wir ihn für einen Trick der Herrschenden hielten. Despoten wie Trump, Erdogan und Orban machen heute Stimmung dagegen. Um so wichtiger, den Rechtsstaat wertzuschätzen.

Wo fangen wir an? Erstmal bei der Demokratie. Westdeutsche Wohlstandskinder fanden es in den achtziger Jahren chic, „wenn Wahlen etwas verändern würden, wären sie längst verboten“ zu lamentieren. Im Rückblick auf die sechziger und siebziger Jahre erweist sich diese Äußerung als ziemlicher Bullshit: Die Beteiligung der SPD erst an der Großen Koalition ab 1966 und dann ab 1969 an der sozialliberalen Koalition hat die gesamte Nachkriegs-Gesellschaft verändert, von der Eherechtsreform angefangen. Der Schwulenparagraph 175 wurde abgeschafft, und Frauen durften fortan arbeiten, ohne ihren Ehemann um Erlaubnis fragen zu müssen.

Aber hier geht es um den Rechtsstaat. Und da gibt es Kritik. Oft von Betroffenen, denen vor Gericht nicht das beschieden wurde, was sie sich gewünscht haben.

– Da ist der Bauherr, dem in einem Zivilprozess nicht der Schadensersatz zugesprochen wurde, den er für sein Recht hält.

– Da ist der Vater, der nicht verstehen kann, dass ein Familiengericht nach dem Kindswohl urteilt und ihm das Umgangsrecht zu seinem Kind einschränkt.

– Da ist der Fernsehmuffel, der zur Zahlung der Haushaltsabgabe verurteilt wird, obwohl er (angeblich) nicht fernsieht.

– Da ist die Überlebende eines Mordanschlags, die den Täter gern für immer eingesperrt sähe, aber schon nach wenigen Jahren feststellen muss, dass der Häftling auf freien Fuß gesetzt wird.

In allen Beispielen führt der Unmut über das vermeintlich erlittene eigene Unrecht zur Ablehung des Rechtsstaats als solchem: „Ich habe aufgegeben, von der Justiz noch etwas zu erwarten.“

Das ist individuell verständlich, aber gesamtgesellschaftlich falsch. Der Rechtsstaat ist eine beispiellose historische Errungenschaft. Die Möglichkeit für jeden und jede, eine unabhängige Instanz anrufen zu können, auch gegen den Staat, ist ein extrem kostbares Gut. Dass dieser Rechtsstaat funktioniert, beweist das Urteil des NRW-Verwaltungsgerichtshofs, das Minister und Behörden zwingt, einen trickreich und zu Unrecht abgeschobenen mutmaßlichen Gefährder erstmal zurück nach Deutschland zu bringen, damit hier sein Verfahren geordnet zu Ende gebracht werden kann.

Klar findet das keiner am Stammtisch gut. Aber es beweist den funktionierenden Rechtsstaat. Und darauf sollten wir stolz sein.

Denn Rechtsstaat bedeutet nicht, dass „Gerechtigkeit“ hergestellt wird (wer wollte diese auch definieren?), sondern vielmehr Rechtssicherheit.

Eine ältere Dame, untadeliger Lebenswandel, berichtete neulich von irgendwelchen Ausländern, von denen sie in der Lokalzeitung gelesen hatte, dass sie angeblich im Bus schwarzfahren. Sie meinte: „Die müsste man doch alle einfach mal wegsperren!“

Ich darauf: „Wir leben in einem Rechtsstaat! In einem Rechtsstaat kann man nicht jemanden ‚einfach mal wegsperren‘, nur weil dir dessen Nase nicht passt.“ Darauf die Dame: „Oho!“ Ich setzte nach: „Der Rechtsstaat schützt auch dich. Vor Willkür.“ Da sagte sie nichts mehr.

Geschrieben von Benedikt Hotze

20. August 2018 um 23:59

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