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Ludwigsfelde – auf den Spuren der Rüstungsindustrie der Nazis

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Ludwigsfelde südlich von Berlin hat kein historisch gewachsenes Zentrum. Bedeutend wurde der Ort erst mit der Ansiedlung eines Betriebs der nationalsozialistischen Rüstungsindustrie. Wir haben bei einem Sonntagsausflug nach Spuren dieser Zeit im Stadtbild gesucht.

Relikt am Waldrand: Verlassenes Vorkriegs-Trafogebäude Garagengebäude im Industriepark Ludwigsfelde-Ost (Standort-Koordinaten:  52.3168628, 13.2634632)

1933 lebten auf dem Gebiet der heutigen Kernstadt Ludwigsfelde (ohne spätere dörfliche Eingemeindungen) nur gut 220 Einwohner. Ab 1936 baute Daimler-Benz ein Flugzeugmotorenwerk in dem Waldgebiet Genshagener Heide und löste damit den Aufstieg Ludwigsfeldes zum Industriestandort aus. Im selben Jahr wurde der Berliner Ring der Reichsautobahn in diesem Bereich fertig – weswegen der Ort heute durch eine Autobahntrasse zerschnitten wird.

Im Daimler-Werk wurden Flugzeugmotoren für die Luftwaffe gebaut – nach Kriegsbeginn hauptsächlich durch Zwangsarbeiter, unter elendigen Bedingungen.

Zuvor hatte die Kurmärkische Kleinsiedlungsgesellschaft „preisgünstige Wohnungen errichtet, um einen Stamm von Arbeitern an das Werk zu binden“. So entstand damals „eine der größten Siedlungsanlagen Deutschlands“, die Daimler-Werkssiedlung beiderseits der heutigen Ernst-Thälmann-Straße (Wikipedia). Zum Kriegsende hatte Ludwigsfelde schon 5.800 Einwohner, weswegen die Sowjetarmee, die den Ort im April 1945 kampflos eingenommen hat, nicht schlecht gestaunt hat: In ihren Karten war nur ein winziges Dorf eingezeichnet…

Interessant in diesem städtebaulichen Zusammenhang ist die nördliche Fortsetzung der Daimler-Siedlung, die Holzhaussiedlung von 1944. Im Auftrag des Reichsluftfahrtministeriums und des Daimler-Benz-Werkes entstanden „ohne großen Material- und Kostenaufwand“ rund 75 an den Giebelseiten aneinandergebaute Doppelhäuser in Holzbauweise, welche offenbar dem Materialmangel im Krieg geschuldet war. Die Holzhaussiedlung macht heute trotz Veränderungen im Detail einen geschlossenen Eindruck, was sicher auch der Aufstellung einer Gestaltungssatzung durch die Gemeinde im Jahr 1992 geschuldet ist. (Denkmalliste). Zwei der noch ursprünglich erhaltenen Holzhäuser stehen als Einzeldenkmale unter Schutz.

Margeritenweg 18, eingetragenes Baudenkmal von 1944 (die Eingangstür ist nicht original)

Die Holzhaussiedlung macht heute durchaus den Eindruck eines privilegierten Wohnstandorts. Auffällig viele nachgerüstete Klimaanlagen lassen allerdings den (naheliegenden) Schluss zu, dass die Häuser zur Erbauungszeit nur unzureichend wärmegedämmt wurden (tatsächlich haben sie heute die schwache Energieeffizienzklasse F).

Überhaupt stellt sich die Frage, warum die Nazis noch zu Kriegsende, als das Land bereits in Trümmern lag, fast alle Männer zum „totalen Krieg“ herangezogen waren und im Übrigen ein ziviles Bauverbot galt, vergleichsweise schmucke Eigenheime für Arbeitskräfte der Rüstungsindustrie errichtet haben. Die Häuser sind vollunterkellert und haben eine Wohnfläche von 96 Quadratmetern bei einer typischen Grundstücksgröße von knapp 500 Quadratmetern, wie eine aktuelle Immobilienanzeige verrät. Eine Dissertation versucht eine Antwort, ausdrücklich bezogen auf die Holzhausiedlung, in der Argumentation aber zeitlich  früher ansetzend:

Mit dem insgesamt qualitativ mittleren bis guten Wohnungsbaustandard wollte die Werksleitung jene „sehr guten Facharbeiter aus der Ostmark und aus Sudetendeutschland“, die als „sehr fleißig und willig“ angesehen wurden, beim Werk halten, da viele Arbeiter 1939 angesichts der drohenden Kriegsgefahr wieder in ihre Heimatorte abgereist waren. Dies wollte die Werksleitung für die Zukunft verhindern: „Wir können diese braven Männer nur dadurch beschwichtigen, daß wir ihnen wieder Aussicht auf die baldige Fertigstellung der Siedlungswohnungen […] machen.“ (Carsten Benke, TU Berlin, 2010, S. 85)

Direkt neben der Holzhaussiedlung, mit Adresse Margeritenweg 1a, findet sich eine Kirche, die auf den ersten Blick wie eine barocke Dorfkirche mit Fachwerk-Dachreiter und auf den zweiten, genaueren Blick wie eine Blut-und Boden-Kirche aus der Nazizeit aussieht. Sollte hier mitten im Krieg nun auch noch eine Kirche errichtet worden sein?

Die Lösung ist einfacher: Die St.-Michael-Kirche wurde 1953-55 unter DDR-Bedingungen im damals obligatorischen Stil der „Nationalen Tradition“ gebaut und war die erste Kirche im inzwischen angewachsenen Ortszentrum von Ludwigsfelde (bis dahin hatten Kirchgänger die umliegenden Dorfkirchen aufsuchen müssen). Auf der anderen Seite der Autobahn war damals die heute als „Dichterviertel“ bekannte, architektonisch qualitätsvolle „sozialistische Wohnstadt“ rund um den Heinrich-Heine-Platz in Bau, die ebenfalls im stalinistischen „Nati-Tradi“-Stil entstand. Denn auch zu DDR-Zeiten wurde Ludwigsfelde als Industriestandort ausgebaut.

Zurück zum eigentlichen Thema, den Spuren der Nazi-Rüstungsindustrie. Das Daimler-Motorenwerk wurde direkt nach dem Krieg demontiert, und die Werkshallen wurden gesprengt – so findet es sich jedenfalls übereinstimmend in vielen Beiträgen im Netz, die sich offenbar auf eine Schrift des Ludwigsfelder Heimathistorikers Gerhard Birk berufen (in der erwähnten Dissertation auf S. 86 zitiert) Am 1. März 1952 wurde ein DDR-Nachfolgebetrieb in Ludwigsfelde gegründet. „Es wurde ein völlig neuer Betrieb aufgebaut mit elf Produktionshallen und einem Prüfstand für Schiffsdieselmotoren.“ (Wikipedia). Ein hämischer Spiegel-Bericht von 1955 mokiert sich über Pleiten, Pech und Pannen der sozialistischen Planwirtschaft ebendort im Allgemeinen und über den Schiffsdiesel-Prüfstand im Besonderen. Jedenfalls wurde Ludwigsfelde später zum Standort der Lastwagenproduktion der Marke IFA in der DDR.

Ich bin immer etwas skeptisch, wenn berichtet wird, eine Anlage, eine Siedlung, eine Stadt seien „vollständig“ zerstört worden. Irgendwelche Reste gibt es meist doch. So wurden die Heinkel-Flugzeugwerke in Oranienburg immer als zerstört dargestellt, bis ich ebendort bei einem Sonntagsausflug die noch sehr vorhandene „Einfliegehalle“ entdeckt habe.

Im Industriepark Ludwigsfelde-Ost hat die Daimler-Benz-AG nach der Wende die IFA-Produktionsstätte übernommen und ist damit – durchaus makaber – an ihren Ursprungsstandort aus der Nazizeit zurückgekehrt, auch wenn das Unternehmen gelobt, sich der Vergangenheit und dem Missbrauch von Zwangsarbeitern zu stellen.

Das Werksgelände von Daimler ist naturgemäß für einen Zaungast am Sonntag nicht zugänglich, daher kann ich auch nichts sagen über dortige bauliche Reste aus der Vorkriegszeit. Aber auch außerhalb des abgeschotteten Werksgeländes fallen verklinkerte Bauten auf, die stilistisch der Vorkriegszeit zugeordnet werden können, jedenfalls nicht der DDR-Epoche. Zum Beispiel das heutige Mercedes-Benz-Bildungszentrum an der Brandenburgischen Str. 45.

Gleich nebenan am Waldrand steht das oben schon abgebildete verlassene Trafogebäude Garagengebäude. Stilistisch ist es klar dem Neuen Bauen der 1920er Jahre zuzuordnen, das im Industriebau auch in der Nazizeit weiterhin angewendet wurde. Ein Zusammenhang dieses Gebäudes mit dem Daimler-Motorenwerk von 1936 ist mehr als wahrscheinlich.

Nun noch ein Exkurs zu einem Gebäudeensemble von 1914, das uns am Rande Ludwigsfeldes auffiel:

Die ehemalige „Landwirtschaftliche Erziehungsanstalt“ der Stadt Berlin von 1914 ist eine Pavillonanlage im Geiste der Krankenhäuser Ludwig Hoffmanns oder Hermann Blankensteins. Errichtet wurde sie tatsächlich von einem Mitarbeiter Hoffmanns. Heute befindet sich hier das Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM). Info-Tafeln vor Ort verweisen auf die grausame Praxis der Erziehung „Schwer-Erziehbarer“, heute dient die Anlage zur Lehrerfortbildung der Länder Brandenburg und Berlin. Schön restauriert!

Geschrieben von Benedikt Hotze

28. Februar 2021 um 20:12

2 Kommentare zu “Ludwigsfelde – auf den Spuren der Rüstungsindustrie der Nazis”

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  1. Olbrich

    26. Apr 21 um 18:36

    Ludwigsfelde – auf den Spuren der Rüstungsindustrie der Nazis

    Das „verlassene Garagengebäude“ ist war eine Trafostation und diese gehörte zum Daimler Flugmotorenwerk. Diese Trafostation befindet sich östlich nahe dem Zugang 3 des dortigen Bunkers, bei dessen Erkundung Herr Rainer Karlsch tätig war.

    (Quelle: Kartografierung zu den Schäden der Bombenangriffe des Jahres 1944)

    • Benedikt Hotze

      26. Apr 21 um 19:24

      Haben Sie vielen Dank für Ihre Information und den Literaturhinweis!
      Wie ich ja schrieb, fußt die Recherche zu meinem kleinen Aufsatz auf einer schnellen Netzrecherche, mit der ich nicht so weit kam. Also: Danke!

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