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Westernhagen: Das „Pfefferminz-Experiment“ ist gescheitert

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Manchmal müssten Künstler vor sich selbst geschützt werden: Marius Müller-Westenhagen demontiert mit einer manierierten Neuaufnahme sein bestes Album „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“.

Der Protagonist „rannte mit 18 in Düsseldorf rum“,  um mit verstimmten Gitarren „ne Rollling-Stones-Kopie“ abzuliefern – „für 400 Mark pro Auftritt“. Fangen wir also mit den Stones an. Über die Frage nach dem besten Stones-Album haben sich Generationen von Fans und Musikkritikern nicht einigen können, auch wenn es einen leichten Vorteil für „Exile On Main Street“ gibt.

Bei Marius Müller-Westernhagen ist die Frage nach dem besten Album hingegen klar: „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ von 1978 ist gleichzeitig Quasi-Debüt und Höhepunkt einer langen Musikerkarriere. Die früheren drei Alben im bittersüßen Liedermacher-Stil („Marion aus Pinneberg“) verdienen keine Erwähnung, und die spätere Entwicklung der „Sexy“-Ära hat zwar Stadien gefüllt, jedoch keine künstlerische Innovation markiert.

„Pfefferminz“ hingegen kam – wenn auch in New-Wave-Zeiten historisch verspätet – mit dem richtigen Sound: Knalliger Rock‘n‘Roll im Stones-Stil und gelungene Balladen, gepaart mit witzigen Texten: Westernhagen gelang es, sich als authentischer Singer-Songwriter zu positionieren, als deutscher Springsteen, dessen Songs „tierisch losgingen“ und seitdem auf jeder Schülerfete gespielt wurden.

Sein literarischer Trick war das Hineinversetzen in den jeweiligen von ihm vorgegebenen Charakter: Mit „Dicke“ hat sich der „dürre Hering“ damals angreifbar gemacht, mit „Johnny W.“ hat er seinem alkoholkranken Vater ein eindrucksvolles Denkmal gesetzt, und gern wird übersehen, dass auf dem Album mit „Grüß mir die Genossen“ auch ein politisches Statement enthalten ist, das die Terrorhysterie des Deutschen Herbstes von 1977 eindrucksvoll karikiert.

Wie viele andere arrivierte Künstler auch hat Westernhagen entschieden, sein Erfolgsalbum zu einem runden Jubiläum erneut einzuspielen. Meistens ergibt so etwas keinen Fortschritt (abgesehen von Patti Smith, die ihr Debut „Horses“ von 1975 in den Jahren 2005 und 2015 mit extrem eindrucksvollen Live-Alben erneut relevant gemacht hat), aber im Falle von Marius ist gar ein komplettes Desaster entstanden. Der Künstler hat offenbar nicht verstanden, was an seiner Platte damals überhaupt wichtig war.

Er hat nämlich entschieden, „Pfefferminz“ in einer tontechnisch ambitionierten Neuaufnahme im „hand made style“ als Blues-, Jazz- und Folk-Album zu interpretieren: Manufaktum statt rotziger Rock’n’Roll, „es gibt sie noch, die guten Dinge“. Das ist strukturkonservativ, und es funktioniert auch musikalisch nicht. Jede Minute des Anhörens ist ein Moment des Fremdschämens. Allein für den manierierten Gesangs-Stil müsste man ihn an den Retro-Mikrofonständern kreuzigen, die er hier demonstrativ einsetzt. Das Album ist ein unfreiwilliger Verrat an seiner eigenen Relevanz. Das „Pfefferminz-Experiment“ ist gescheitert.

Geschrieben von Benedikt Hotze

9. Januar 2022 um 00:08

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