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Das Moltkeviertel in Essen ­– eine Buchrezension

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Essen war bis in die 1970er Jahre hinein die fünftgrößte Stadt in Deutschland – vor Frankfurt, Düsseldorf, Dortmund, Leipzig oder Stuttgart (als gebürtiger Essener wiederhole ich mich da gern). Ein vierter Band einer verdienstvollen Reihe zur modernen Architektur in Essen beschäftigt sich mit einem ganz erstaunlichen städtebaulichen Projekt der Reform- und Gartenstadt-Architektur kurz vor dem ersten Weltkrieg: dem „Moltkeviertel“. Dort war, einen Kilometer vom Hauptbahnhof entfernt, eine Mischung aus Industriellen-Villen und Reihenhäusern „kleiner Leute“ Programm. Und der städtebauliche Kulminationspunkt war nicht mehr wie früher eine Kirche, sondern eine Ingenieursschule. Mehr Moderne ging 1908 nicht!

Das Gebiet, um das es hier geht, ist nicht unter dem heutigen Begriff „Moltkeviertel“ entstanden. Ab 1908 hat die Stadt Essen das Terrain des landwirtschaftlichen Bründlingshaushofes entwickelt, und zwar mit einem strengen System von Auflagen für private Investoren, die in dem „Bebauungsplan östlich vom Bernewäldchen“ von 1908 festgelegt worden waren.

Manche nennen das Quartier „Architektenviertel“, weil die meisten Straßennamen auf vormoderne Architekten verweisen; mein Vater hingegen hat die Lage seines Elternhauses in der Schnutenhausstraße immer als „Essen-Süd“ bezeichnet, wohl in Anlehnung an den benachbarten gleichnamigen Bahnhof, aber ebenfalls unscharf. Denn das hier betrachtete Gebiet gehört zu den Essener Stadtteilen Südostviertel und Huttrop, aber eben knapp nicht zum Stadtteil „Südviertel“.

Genug mit der Beckmesserei, wenden wir uns dem Buch zu: Es ist ein schmaler Band von 84 Seiten geworden. Wer jetzt einen monographischen Architekturführer erwartet hat, mag vielleicht enttäuscht sein.

Nach einer Einführung in die Planungs- und Baugeschichte (mit historischen Fotos) und einem heutigen fotografischen Rundgang mit eigens dafür angefertigten Schwarzweiß-Bildern bildet den zentralen Part des Buches eine biografische Würdigung der hier mit Straßennamen geehrten Architekten ­– abgesehen von diesem Umstand gibt es in diesen Texten keinen Zusammenhang zum „Moltkeviertel“. Immerhin werden in einem (wesentlich schmaleren) Kapitel auch die ausführenden Architekten vorgestellt – zumindest wenn deren Beitrag zum Viertel aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg stammt. Mein Großonkel Leo Hotze, der 1933 die Reihenhauszeile Schnutenhausstraße 58-64 entworfen hat, fehlt hier verständlicherweise.

Insgesamt ein sympathisches Büchlein, das sich dem Moltkeviertrel aus verschiedenen Perspektiven nähert und somit eine heute noch erlebbare städtebauliche Leistung mitten im Ruhrgebiet würdigt, die inzwischen eine gewisse überregionale Aufmerksamkeit genießt. Dieses Werk trägt dazu bei.

Nachtrag in eigener Sache: Es ist eine professionelle Architekturaufnahme meines großelterlichen Hauses in einem Familienalbum aufgetaucht:

Schnutenhausstraße 58-64, errichtet 1933, Architekt Leo Hotze

Geschrieben von Benedikt Hotze

10. Dezember 2022 um 16:47

5 Kommentare zu “Das Moltkeviertel in Essen ­– eine Buchrezension”

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  1. Gewischt

    23. Dez 22 um 09:05

    Interesse! Aber das Büchlein ist (noch?) nicht lieferbar?

  2. Berger Bergmann

    12. Dez 22 um 21:24

    Sehr geehrte Herr Hotze,
    ganz herzlich bedanken Herr Brdenk und ich uns für Ihr Interesse an unserer letzten Veröffentlichung zur Architektur in Essen. Mit recht verweisen Sie darauf, dass es sich bei der vorliegenden Publikation um keinen „monografischen Architekturführer“ über das Moltkeviertel handelt. Dies war nach den vorherigen Bänden Architektur in Essen 1900 bis 1960, Architektur in Essen 1960 bis 2013 und Architektur der Essener Plätze auch nicht die Intention der Herausgeber. Vielmehr handelt es sich beim vorliegenden Buch um ein Handbuch für die Bewohner des Viertels. Diese wissen zu einem Teil gar nicht, in was für einem bevorzugten und bauhistorisch bedeutenden Umfeld sie leben. Wir wollten hier eine Einführung in Baugeschichte, Bedeutung des Gartenstadtgedankens geben und darüber hinaus den Bewohnern die Nahmensgeber der von Ihnen bewohnten Straßen näher bringen. Wer weiß denn schon, dass Josef Ernst von Bandel das Hermanns-Denkmal geschaffen hat. Mehr als 120 Bewohner haben der Buchvorstellung beigewohnt und ihrem Interesse an dieser überfälligen Publikation Ausdruck verliehen. Für Herrn Brdenk und mich ist es immer wieder ein Vergnügen der Entwicklung der Architektur in Essen ein Forum zu geben und mit den Essener im Rahmen einer Anzahl von Veranstaltungen – in den letzten zehn Jahren – über ihre Stadt und die häufig fehlgeleiteten Entwicklungen im Bereich der Architektur zu diskutieren. Der vorliegende Band wird uns hierzu wieder Gelegenheit geben.
    Mit freundlichen Grüßen Berger Bergmann

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