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Lust auf Lulu ­– eine barock-klassizistische Idealstadt

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Ludwigslust liegt an der Bahnstrecke Berlin-Hamburg. Entstanden ist „Lulu“, weil die mecklenburgischen Herzöge ihren Residenzort im Jahr 1764 hierhin verlegt haben – bis sie 1837 wieder zurück nach Schwerin zogen. In den dazwischen liegenden Jahren ist aus dem Nichts eine spätbarock-klassizistische Idealstadt entstanden, die bis heute ein ungewöhnlich großzügiges und einheitliches Stadtbild sowie einige herausragende Bauten des Klassizismus bietet. Eine echte Entdeckung für einen architektonischen Wochenendtrip!

Kirchenplatz und Schloss Ludwigslust

Platz „Am Bassin“ und Schloss Ludwigslust

Der neue Residenzort wurde ab 1763 durch Joachim Joachim Busch künstlerisch einheitlich geplant und ab 1808 durch Johann Georg Barca planmäßig erweitert. Diese beiden Architektennamen begegnen einem in Lulu ständig: Während Busch einem spätbarockem Klassizismus verpflichtet war, hat der an der Berliner Bauakademie ausgebildete Barca einige eindrucksvolle klassizistische Bauten im Sinne seines Lehrers David Gilly (und der Revolutionsarchitektur von Boullée und Ledoux) hinterlassen.

Schloss und Kaskaden

Das Schloss ist 1772-76 von Busch errichtet worden. Als dessen Point de vue auf der anderen Seite des querovalen Bassins dient die Schlosskirche (heute ev. Stadtkirche) am quadratischen Kirchenplatz, der von einfachen, meist eingeschossigen Wohnbauten umbaut ist.

Ehem. Schlosskirche am Kirchenplatz

Die Kirche wurde 1765-70 ebenfalls von Busch mit einem „kulissenartig vorgelegten, breitgelagerten Portikus“ (Dehio) errichtet.

In der Achse zwischen Schloss und Kirche wurde 1951/52 das Ehrenmal für die Opfer des Konzentrationslagers Wobbelin von H. Bartholomäus errichtet – eine eindrucksvolle DDR-zeitliche künstlerische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.

Ehrenmal

Ganz in der Nähe der Stadtkirche, am Friedhofsweg, finden sich die beiden Torpylone des Friedhofs, 1791/92 von Busch. Die aus Backsteinen und Ausfachungen mit Raseneisenstein gestalteten, stark geböschten Türme sind „von altägyptischen Bauten inspiriert“ (Dehio).

Torpylone des Friedhofs

Ganz wesentlich für Lulu ist der Schlosspark im Norden und Westen des Schlosses, eine „weit in die Landschaft ausgreifende Anlage, in heutiger Gestalt eine Schöpfung P. J. Lennés, 1852-60“ (Dehio). Verwunderlich ist, dass der bekannte Gestalter englischer Landschaftsgärten hier prägend wirkte, obwohl die Residenzfunktion Lulus zum Zeitpunkt seines Eingriffs bereits nicht mehr gegeben war. Jedenfalls hat Lenné „bestehende Bauten und Anlagen geschickt einbezogen“ (Dehio). Dazu zählt unter anderem das Mausoleum für Herzogin Helene Paulowna,  1804-06 von J. J. Ramée, …

Mausoleum für Herzogin Helene Paulowna

… und das Mausoleum für Herzogin Luise, 1809 von Barca.

Mausoleum für Herzogin Luise

Die künstliche Ruine („Grotte“) im Park stammt aus der Spätzeit Buschs…

Grotte

.. und die Brücke mit Sandsteinvase über den Großen Kanal (dieser 1756-63 von Busch) 1780 von R. Kaplunger.

Brücke

Großer Kanal, 1756-63

Das vielleicht größte architektonische Highlight Lulus ist die katholische Kirche St. Helena, der erste neugotische Kirchenbau Mecklenburgs (1803-09 von J. H. von Seydewitz; der abseits stehender Glockenturm von Barca, 1817).

Kath. Kirche St. Helena

„In der Mischung kopierter und frei erfundener Elemente charakteristisch für den Beginn neugotischen Bauens in der Romantik“ (Dehio).

Glockenturm von Barca

Auch sehr hübsch ist die ehemalige Orangerie und das alte Spritzenhaus (Barca, 1814) mit einem halbkreisförmig übergiebelten Mittelbau im Sinne der Revolutionsarchitektur.

Ehem. Spritzenhaus, Schlossfreiheit 3b, Foto: A. Barz

 

Wohnhaus Kanalstr. 22 , 1817/18 von Barca

 

Ehem. Rektorschule, Alexandrinenplatz 1, 1843

Auch das 20. Jahrhundert hat in Lulu stattgefunden:

Schlauchturm von 1931 an der Kanalstraße

 

ehem. Sparkasse, Breite Straße

Die ehemalige Sparkasse zeigt mit ihrem gotisierenden Treppengiebel Anklänge an den norddeutschen Backsteinexpressionismus. Eine Datierung habe ich nicht gefunden, gehe aber von einem Baudatum in der NS-Zeit aus, was durch den Blut- und- Boden-mäßigen plastischen Bauschmuck befördert wird, den ich für bauzeitlich halte.

Detail ehem. Sparkasse

Das wohl beste Restaurant der Stadt ist in der Alten Wache untergebracht (1853 von Ludwig Wachenhusen)

Alte Wache, Schlossfreiheit

 

Kalbsschnitzel in der Alten Wache

Zur Abreise kommt noch das ev. Bethlehem-Stift an der Bahnhofstraße in unseren Fokus:

Die Kirche dieses 1851 gegründeten Krankenhauses ist 1864 von H. Willebrand errichtet worden und zeigt die ortstypischen Raseneisensteine – die großen unten, die kleinen oben.

Schließlich verlassen wir Lulu wieder über den Bahnhof, errichtet 1846. Im Gegensatz zu den vielen jämmerlich leerstehenden spätklassizistischen Bahnhofsgebäude der Strecke Berlin-Hamburg ist dieses Gebäude in Nutzung.

Literatur

Liste der Baudenkmale in Ludwigslust

Stadtplan Ludwigslust

Dehio – Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler / Mecklenburg-Vorpommern (2016)

Anke Barz (1962–2023) am 28. Dezember 2022 in Ludwigslust

Geschrieben von Benedikt Hotze

31. Dezember 2022 um 00:16

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