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Eisenbahnrelikte: Versorgungsbahn Flughafen Tempelhof

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Immer wieder tauchen Gerüchte auf, der Flughafen Tempelhof, ein architektonisches Prestigeprojekt des NS-Regimes, sei mit irgendwelchen geheimen unterirdischen Bahn-Verbindungen ausgestattet. Die Wahrheit ist simpler: Das Flughafengebäude war mit einem Güter-Anschlussgleis (Versorgungsbahn), das dort in der Frachtebene unter der Empfangshalle durchgeführt wird, mit dem übrigen Eisenbahnnetz verbunden. Dieses ca. 5 km lange Gleis vom Güterbahnhof Hermannstraße bis zum Flughafen existiert heute noch weitgehend, wenn auch überwuchert (Fotos der Strecke auch bei biuup.bplaced.net). Im Januar/Februar 2023 haben wir es erkundet. Dazu gehört vor allem ein auffälliges Brückenbauwerk über die stark befahrene Ringbahn.

Überführungsbauwerk über die Ringbahn

Im Zuge des Anschlussgleises wurden zwei Überführungsbauwerke erforderlich: eines über die Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn (unzugänglich hinter Betriebsgelände) und das besagte über die Ringbahn. Dieses ist zugänglich über einen unbefestigten Weg, der in Verlängerung der Siegfriedstraße von der Bezirkssporthalle Neukölln an der Ecke Oderstraße zur Kleingartenanlage Neuköllner Berg führt.

Das Anschlussgleis ist 1936 im Zuge des Neubaus des Flughafens Tempelhof entstanden. Die Bauart der Stahlkastenbrücke und ihrer Widerlager in Stahlbetonbauweise bezeugen dies ebenso wie die Streckenführung auf dem Flughafengelände (gut sichtbar auf openrailwaymap.org). In einer Geschichte der Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn (NME) wird die Bedeutung des Anschlussgleises während der Blockade 1948/49 hervorgehoben, weil damit die – auch in den Westzonen – sowjetisch kontrollierte Reichsbahn umgangen werden konnte:

Die unmittelbar nach dem Beginn der Blockade aufgenommene Luftbrücke machte das 1936 gebaute, etwa 5 km lange Anschlussgleis zum Flughafen Tempelhof zu einem wichtigen Lebensnerv der Stadt. Es erhielt auf alliierte Weisung eine direkte Verbindung zur NME. Güter, die auf dem Luftweg Berlin erreichten, insbesondere Kohle, wurden so, unter Umgehung der Reichsbahn, direkt an die Anschließer weitergeleitet, die dann die Verteilung an die Bevölkerung übernahmen.

Hier beginnt unsere Streckenbegehung von Westen nach Osten: das Anschlussgleis auf dem Gelände des Flughafens Tempelhof

Das Gleis auf dem öffentlich zugänglichen Flughafengelände, das heute „Tempelhofer Feld“ genannt wird

ebenso

Das Anschlussgleis verlässt hier das eingezäunte, aber zugängliche Gelände des Flughafens Tempelhof in Richtung Osten …

… und führt außerhalb des Flughafengeländes parallel zur Ringbahn: Blick aus der fahrenden S-Bahn von der Ringbahn auf das Anschlussgleis

ebenso

Im Bereich der Kleingartenanlage „Neuköllner Berg“ verlässt das Gleis den umzäunten Bereich der aktiven Bahnanlage in Richtung Osten und führt in Dammlage mitten durch die Kolonie

Hier gibt es eine alte Weichenanlage…

… weil die Strecke hier für einen gut 150 Meter langen Abschnitt zweigleisig geführt wurde – als Überhol- bzw. Begegnungsmöglichkeit

Kleingartenanlage Neuköllner Berg – eine Kolonie der „Bahn-Landwirtschaft Bezirk Berlin e.V. – Unterbezirk Neukölln“, also einer Sozialeinrichtung der DB AG und des Bundes-Eisenbahnvermögens. Ob diese Kolonie konkret den Auflagen des Bundeskleingartengesetzes unterliegt, ist mit einer schnellen Netzrecherche nicht zu klären. Die Anlage wirkt teilweise verwahrlost.

Am östlichen Ende der Kolonie führt die Strecke in Dammlage auf das Überführungsbauwerk über die Ringbahn zu.

Das Überführungsbauwerk über die Ringbahn von der verlängerten Siegfriedstraße aus gesehen, die hier als unbefestigter Fahrweg an der Ringbahn entlang geführt wird

Details und Bauweise entsprechen dem Baujahr 1936

Die Stahlbeton-Widerlager wirken durch die spitzwinklig aufeinandertreffenden beiden Bahnstrecken expressiv

Die stark befahrene Ringbahnlinie unterquert das Überführungsbauwerk

Das Überführungsbauwerk über die Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn, das zweite derartige Bauwerk dieses Anschlussgleises, ist von der Oberlandstraße aus nur zu erahnen

Die Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn (NME) war übrigens als privates Eisenbahnunternehmen bis zum Jahresende 2022 tätig – vor allem für den Mülltransport der Berliner Stadtreinigung BSR auf der Schiene (bis 2011, danach auf die Straße verlagert). Das Gleis sieht im Bereich Oberlandstraße heute (Januar 2023) benutzbar aus. Doch …

… hat die NME entschieden, den Eisenbahnverkehr zum 31.12.2022 einzustellen und zukünftig nur noch als Eisenbahninfrastrukturunternehmen tätig zu sein. Die Durchführung der Verkehre auf der Infrastruktur der NME wird damit anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen überlassen. Quelle

Beifang:  VAUBEKA-Portalkran

VAUBEKA-Kran von 1935

Diese 1935 errichtete und 1991 stillgelegte Verladebrücke mit Drehlaufkatze der Vereinigten Berliner Kohlenhändler (VAUBEKA) an der Teilestraße 3–8 in Neukölln ist die größte historische Krananlage in Berlin.

(Sie) beeindruckt durch ihre filigrane, ansprechende Ingenieurkonstruktion. Eine 122 Meter lange Verladebrücke aus Eisenfachwerk mit einer lichten Höhe von 22 Meter wird von zwei hohen keilförmigen Fachwerkrahmen getragen. (Denkmaldatenbank Berlin)

In unserem Zusammenhang interessant ist die Bedeutung, die diese Anlage während der Berlin-Blockade 1948/49 hatte:

Während der Blockade West-Berlins musste die gesamte Brennstoffversorgung Berlins über die Luftbrücke durchgeführt werden. Die Hälfte der eingeflogenen Kohlemenge wurde vom benachbarten Flughafen Tempelhof auf diesen Lagerplatz gebracht und mit Hilfe der Krananlage auf Schiffe, Waggons und Lastkraftwagen verladen und in der Stadt verteilt.

 

Weitere Bahnrelikte im Berliner Raum

Umgehungsbahn in Oranienburg

Land Art II: Güteraußenring in Großziethen

Geschrieben von Benedikt Hotze

22. Januar 2023 um 16:26

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