Das Cover ist ein Hingucker: Zu sehen ist das Turmrestaurant „Bierpinsel“ in Berlin-Steglitz. Im dem Roman „Die Architektin“ geht es indes um den in der Nähe errichteten „Steglitzer Kreisel“, ein Hochhaus-Projekt der 1970er Jahre, das als Inbegriff des Westberliner Baufilzes in die Geschichte eingegangen ist. Das Buch ist als Schlüsselroman über die schillernde Architektin und Immobilienentwicklerin Sigrid Kressmann-Zschach (1929–1990) angelegt und führt die Mechanismen dieses Baufilzes süffig vor. Es transportiert stimmig den Kolorit der Zeit – schwächelt allerdings bei einigen Details. Dazu später mehr.
Fangen wir so an: Der zu früh verstorbene Berliner Architekt Michael Mussotter, wie immer mit Motörhead-T-Shirt, hat es sich einmal nicht nehmen lassen, die Teilnehmer einer von der Baustoff-Industrie veranstalteten Stadtrundfahrt zum Bierpinsel zu führen, als dieser noch in Betrieb war. Dieses Fanal der Zukunftsgläubigkeit fand er sprechender für Berlin als die üblichen touristischen Ziele.
Tatsächlich ist der Bierpinsel der bauliche Hochpunkt eines integrierten Verkehrsbauwerks, das um 1970 U-Bahn, Stadtautobahn und Fußgängerverkehr im verschlafenen Berliner Südwesten in die Moderne putschen sollte. Es gehört zu den wenigen realisierten Werken der ICC-Architekten Ursulina Schüler-Witte und Ralf Schüler und steht inzwischen unter Denkmalschutz. Indirekt gehört zu diesem Ensemble am U-Bahnhof Schloßstraße auch das Verkehrs-, Geschäfts- und Bürozentrum des Steglitzer Kreisels eine Station weiter, am Rathaus Steglitz. Der Kreisel stammt von der erwähnten Architektin Kressmann-Zschach, wird derzeit umgebaut und ist kein Baudenkmal.
Im Buch tauft Till Raether den Kreisel konsequent um in „Kegel“. Erzählt wird die Geschichte eines sehr grünschnabeligen Praktikanten einer sehr provinziellen und sehr versoffenen Lokalredaktion aus Spandau (was Raether laut DLF-Interview als Hommage an den Lokaljournalismus verstanden wissen möchte), der in die Machenschaften des Westberliner Baufilzes gerät.
Spoiler: Im ganzen Buch gibt es keine einzige nennenswerte Sexszene, obwohl doch die reale Architektin angeblich dafür bekannt war, mit allen Entscheidungsträgern ins Bett zu gehen. Raether erzählt das geschickter, indem er ihre soft verpackten Machtdominanz-Mechanismen genüsslich vorführt: Die bekloppten Männer fehlinterpretieren schon die Andeutungen einer möglichen Liaison als persönliche Wertschätzung.
Die Architektin kommt in dem Buch ziemlich gut weg, auch wegen ihrer schlauen Vertragsgestaltungen, die ihr Millionenhonorare für Planungsleistungen garantieren, sie jedoch bei der einkalkulierten Pleite ihrer Sub-Firmen nie haften lassen. Den Nachteil haben gierige Anleger – und natürlich immer die öffentliche Hand.
Raether hat den Anspruch, den Zeitkolorit der frühen 70er Jahre in Westberlin zu aufscheinen zu lassen – mit Krautrock-Konzerten, WG-Diskussionen und Disco-Besuchen in Rockschuppen. Das wirkt oft stimmig, manchmal aber auch etwas aufgesetzt. Der eigentlich wohlgesonnene Rezensent fremdschämt überdies bei vermeidbaren Fehlern im Detail, die einem aufmerksamen Lektorat hätten auffallen müssen.
Da wird die Transitstrecke nach Hamburg als „B5“ bezeichnet, obwohl es in der DDR „F5“ hieß. Da fährt 1974 ein Angeber einen Opel Monza, obwohl das Coupé der oberen Mittelklasse dieses Namens erst 1978 erschien. Da gibts eine U-Bahn-Verbindung nach Spandau, obwohl die U7 erst Ende der 1980er Jahre dorthin fertiggebaut war. Und so weiter; der Rezensent hat noch eine Reihe bunte Kleber in seinem Exemplar, die er gerne gegenüber Verlag oder Autor offenlegt.