Ein neues Album der Hardrock-Band Deep Purple (gegründet 1968) elektrisiert gerade die Feuilletons. Die beiden stilprägenden Musiker sind schon lange nicht mehr dabei. Was ist da los im Rentnerbereich?
Der Rocksänger Ian Gillan ist heute 78 Jahre alt. Er wurde 1969 rekrutiert, als Gitarrist Ritchie Blackmore das erste Led-Zeppelin-Album gehört hatte und glaubte, auch einen androgyn klingenden Sänger à la Robert Plant anheuern zu müssen. Gillan ersetzte den „schönen“ Vokalisten Rod Evens, und in der Besetzung „Mk. II“ wurde Deep Purple nicht nur ein Publikumshit und Verkaufsknaller, sondern auch stilbildend für die aufkommende Metal-Szene, insbesondere mit dem epochalen Live-Album Made in Japan von 1972.
Die weitere Geschichte der Band ist bekannt. 1973 war für die Mk. II (immerhin nach vier grandiosen Studioalben und den genannten Live-Album) Schluss; eine Fortsetzung mit David Coverdale und dem Bassisten Glenn Hughes an den Vocals trug zwei Alben lang, dann verließ der egomane Gitarrist die Band, die sich kurz darauf auflöste.
Damit hätte die Geschichte eigentlich zu Ende sein müssen. Die Band wäre sofort in den Himmel aufgefahren.
Blackmore hat mit Rainbow eine Nachfolgeband betrieben, die auf einigen dokumentierten Live-Konzerten eine unfassbar aufregende Gitarrenarbeit zeigte, vor allem in der ersten Ära mit dem Sänger Ronnie James Dio. Danach glitt er in die Vorstellung ab, „radiotagliche“ Rockmusik nach amerikanische Geschmack machen zu müssen…
Coverdale rekrutierte den arbeitslosen „Maestro“ Jon Lord für sein Whitesnake-Projekt, ebenso den Drummer Ian Paice.
1984 (für wartende Fans eine Ewigkeit; für Historiker eher eine kurze Zeitspanne) wurde die „Mk. II“ neun Jahre nach ihrer Auflösung wiederbelebt. Es war vermutlich kommerziell richtig, auf die erwarteten veränderten Hörgewohnheiten einzugehen. Das Comeback-Album Perfect Strangers wurde ein Erfolg; live spielte Deep Purple in den Folgejahren ein Best-Of-Set ihrer Klassiker, garniert mit Beethoven-Murks. Aus einem progressiven Rock-Act war ein Poprock-Ereignis für die ganze Familie geworden. Spätestens mit dem endgültigen Ausstieg des Gitarristen Blackmore 1993 ist für mich das Phänomen Deep Purple uninteressant geworden.
Zeitsprung nach 2024: Das neue Album >=1 (sprich: equals one) versetzt die Kritik in helle Aufregung. Arno Frank schreibt im Spiegel: „Fast könnte man meinen, mit dem virtuosen Steve Morse hätten Deep Purple fast 28 Jahre lang den falschen Gitarristen gehabt.“ Das neue Album sei jedenfalls das beste seit Perfect Strangers von 1984.
Jürgen Roth, Mitverfasser der amtlichen deutschsprachigen Deep-Purple-Biografie, legt in der FAZ nach: „Die Platte ist ein Godzilla im Hermelingewand, ein giftspuckendes, kreischendes Überwesen, geerdet durch graziöse Harmonien und umärmelt von warmen Melodien und der Hammond B3, die ‚das Herz und die Seele von Deep Purple in ihren Tiefen trägt‘ (Don Airey, der den verstorbenen Jon Lord ersetzt hatte), sowie der Stimme schlechthin, vom altersreifen Timbre Ian Gillans“.
Wer sich allerdings das neue Album beim Streamingdienst seiner Wahl anhört, kann diese Begeisterung kaum teilen. Deep Purple ist für mich seit 1975/76 nicht mehr relevant. Gleichwohl: Gillan, Glover, Paice: Schön, dass es euch noch gibt!