Ein erfolgreicher Weinführer testet das Sortiment der Supermärkte und Discounter. Die etablierte Weinszene wird darüber nervös – aus gutem Grund.
Die meisten Leute haben wenig Ahnung von Wein. Dagegen könnten sie zwar auf längere Sicht etwas unternehmen – was man aber von niemandem verlangen kann. Die meisten Konsumenten nehmen, was sie kennen: Die einen schwören auf „ihren“ Winzer an der Mosel, bei dem sie sich einmal im Jahr den Kofferraum vollladen, die anderen folgen Gastrokritikern, Weinkolumnisten, Genießerzeitschriften und Weinblogs. Deren Empfehlungen dürften allerdings recht schnell ins Geld gehen.
Nicht jeder kann oder will für Wein viel bezahlen. Deshalb wird 70 Prozent des Weines hierzulande im Supermarkt und bei Discountern eingekauft. So heißt es zum Beispiel, dass Aldi der größte Weinhändler der Republik sei. Doch bisher waren die Konsumenten hier weit gehend auf sich selbst gestellt. Wenn einmal Weine von Aldi, Lidl & Co. von Feinschmeckerzeitschriften verkostet wurden, war das Ergebnis meist vorhersehbar: Ungenießbar. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Solche Zeitschriften haben ein Interesse daran, ihren Anzeigenkunden ein konsumfreundliches Umfeld zu bieten; da würde ein Lob für einen Discounterwein nur Verwirrung stiften. Außerdem muss ein handwerklich sauber erzeugter Wein, so das Mantra dieser Kreise, im Laden mindestens 4 bis 5 Euro kosten.
Es gab auch zuvor schon Buchprojekte, in denen Supermarktweine getestet wurden, doch diese waren immer als Empfehlungslisten aufgezogen. Wenn ein Wein auf einer solchen Positivliste nicht auftauchte, konnte man daraus genau gar nichts schließen: Ob er verkostet und für unwürdig befunden oder ob er schlicht nicht getestet worden ist, war nicht ersichtlich.
Das Buch „Super Schoppen-Shopper“ von Cordula Eich, das mit dem Untertitel „2011-2012“ bereits in dritter Auflage vorliegt, macht das anders. Die Autorin unterscheidet zwar nicht sauber zwischen Supermarkt und Discounter, aber sie hat einen gewissen Vollständigkeitsanspruch. Zumindest bei den Discountern, die ja ein einigermaßen überschaubares (Dauer-)Sortiment anbieten, ist ihr die Vollständigkeit auch einigermaßen gut gelungen. Hier findet der Leser die meisten Weine wieder, die ihm bei Penny, Netto und den anderen im Regal begegnen.
Ich gehe gleich auf die Art der Bewertung von Cordula Eich ein, doch zunächst soll es um die Reaktionen gehen, die ein solches Buch in „etablierten“ Weinkreisen ausgelöst hat. Natürlich gab es hier sofort den Reflex: „Kann gar nichts taugen!“, so beim Direttore: “Deutschlands überflüssigster Supermarktweinführer!“ Die vom Direttore statt dessen empfohlene, oben bereits erwähnte Buchreihe von Till Ehrlich wird aber augenscheinlich seit 2006 nicht aktualisiert. Tja. Gern wird auch die Existenz der Autorin in Zweifel gezogen: Dahinter verberge sich vielmehr eine in Amsterdam ansässige Gesellschaft, will Mario Scheuermann herausgefunden haben. Richtig ist daran wohl, dass Cordula Eich in Wirklichkeit anders heißt und sich ein Pseudonym zugelegt hat, um ihre Familie zu schützen. Aber dass es sie gibt, kann Weinblogger Dirk Würtz bestätigen: Er ist mit ihr zusammen in einem charmanten Video aufgetreten, in dem ein gemeinsames Produkt beworben wird: ein Kombipack, das zwei Flaschen Rotwein und das besagte Buch enthält und im Oktober 2011 bei Lidl zu kaufen war.
Michael W. Pleitgen bringt meines Erachtens den fundiertesten Einwand gegen ein solches Buchkonzept, wobei er freimütig bekennt, das Buch nicht zu kennen:
Auch ohne das Buch gesehen zu haben, finde ich es sehr problematisch, einzelne Supermarkt-Weine in Form eines Führers zu bewerten. Wer das tut, verkennt vollkommen die Dynamik eines Supermarkt- oder noch viel mehr eines Discount-Sortimentes. Discount-Weine verkaufen sich in Millionen-Auflage, selbst Bio-Weine erreichen schnell 700.000 – 800.000 Flaschen. Weine mit für den Laien fast identischen Etiketten kommen häufig von verschiedenen Lieferanten oder aus unterschiedlichen Abfüllungen. Wenn man all diese Feinheiten berücksichtigen will, kann am Ende kein griffiger Führer herauskommen.
Wohl wahr: Ein Führer zu Discounterweinen kann nur eine Momentaufnahme sein. Einen anderen Anspruch hat Cordula Eich auch nicht. Viele Weine werden von ihr bereits deshalb abgewertet, weil sie zu alte (überlagerte) Jahrgänge beim Testkauf vorgefunden hat. Das Ganze also ist kein reproduzierbarer Versuchsaufbau, aber der bislang beste Versuch, sich dem Thema „Qualität beim Discounter“ zu nähern. Einen besseren Vorschlag haben ihre Kritiker jedenfalls bislang nicht gemacht.
Kommen wir zurück zu Cordula Eichs Bewertungen. Die sind flapsig, bewusst unsachlich und gehen meist meilenweit am Thema Weingeschmack vorbei. Eine ihrer Bemerkungen, „Werthers Echte in Flüssigform“, ist da schon fast ungewöhnlich aussagereich. Mich hat dieser Stil beim ersten Diagonal-Lesen genervt. Doch dann ist mir ziemlich schnell aufgegangen, dass es eigentlich nur so geht. Man muss sich das so vorstellen: Da stehen 1.300 verschiedene Flaschen vor der Autorin, viele davon sind Schrott, oder sagen wir, ganz, ganz einfache Industrieweine. Es wäre wohl kaum leistbar, zu allen diesen Weinen seriöse Verkostungsnotizen zu schreiben; die meisten Abfüllungen geben dafür gar nicht genug Substanz her.
Aber die unschätzbare Leistung der Autorin ist es, die Perlen unter diesen glanzlosen Produkten gefunden und benannt zu haben. Dazu vergibt sie einen Punkteschlüssel von null bis vier Gläsern, die ausdrücklich eine preisabhängige Bewertung darstellen (und eine subjektive sowieso). Und hier liegt sie, soweit ich das vergleichen oder nachvollziehen kann, sehr richtig. Hier sind echte Entdeckungen zu machen, oft zum ganz kleinen Preis, auch von unter 2 Euro. Eine Liste von 100 Weinen, die mit drei oder vier Gläsern abgeschnitten haben, hat sie hier für die Bild-Zeitung zusammengestellt und gibt dem, der sich das Buch nicht kaufen möchte, eine gut brauchbare Positivliste für den nächsten Weineinkauf beim Discounter. Eine Liste, die jedenfalls so lange gültig ist, wie der Wein aus einer Charge kommt.