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Flieger, grüß mir die Sonne

6 Kommentare

Die Fliegersiedlung von Erwin Gutkind in Berlin-Staaken (1923/24)

Sie gehören zu den ältesten Häusern der „klassischen Moderne“ in Berlin: Die 21 Doppelhäuser der so genannten „Fliegersiedlung“ an der äußersten westlichen Grenze des Berliner Stadtgebiets in West-Staaken. Beidseitig der Heerstraße gelegen, fallen diese kubischen Doppelhäuser jedem auf, der über die stark befahrene B 5 von Westen nach Berlin kommt.

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Entworfen wurden die Häuser als temporäre Unterkünfte für Flugschüler des nahen damaligen Flugplatzes Staaken. Kurios, dass ausgerechnet für diese Bewohner im flachen Seitenteil einer jeden Doppelhaushälfte Ställe für Selbstversorger angeboten wurden…

Diese Siedlung von 1923/24 war der gebaute Erstling ihres Architekten Erwin Gutkind (1886-1968), der sie im Alter von 37 Jahren entwarf. Schon bald nach dem Bau wurden die Häuser, die mit minderwertigen Materialien errichtet waren, verunstaltet verändert. Zum Beispiel wurde die Verklinkerung der Obergeschosse entfernt. Nach 1950 kam der Ortsteil West-Staaken durch einen Gebietstausch an die DDR und ist erst nach der Wende wieder an das Berliner Stadtgebiet angegliedert worden. Die Häuser sind in einem ungepflegten Zustand, aber immerhin alle noch vorhanden und halbwegs in ihrer Entwurfsabsicht kenntlich geblieben. Gutkind-Biograf Rudolf Hierl versucht diese so einzuordnen:

Die Siedlungshäuser in Staaken knüpfen in ihrer Formgebung an die Avantgarde der frühen zwanziger Jahre an. Die damals aus dem „Rumpf des Kubismus“ entstandenen Bewegungen entwickelten ihre Auffassungen zumeist aus der modernen Malerei und Plastik und versuchen sich in einer rationalistischen, ornamentlosen Komposition von kubisch geschichteten Raumgruppen. Dieser Charakter zeichnet auch die Häuser in Staaken aus. Das Gebäude wird aufgefasst als eine Addition von eigenständigen Raumkörpern. […] Die geometrisch scharf geschnittenen Volumina werden miteinander verklammert, sie werden zu räumlichen Massenkompositionen gesteigert, die die sich in einem spannungsvollen dynamischen Gleichgewicht befinden.

Ein eiskalter Wintersonntag führte mich am 20. Dezember in die Fliegersiedlung, wo ich mit der Kompaktknipse Ricoh R 10 einige Fotos machte:

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Geschrieben von Benedikt Hotze

20. Dezember 2009 um 18:00

Abgelegt in Architektur

6 Kommentare zu “Flieger, grüß mir die Sonne”

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  1. AHP

    28. Feb 10 um 19:49

    Hallo,

    vor etlichen Jahren war ich mal in einem der Häuser. Die Decken sind erdrückend niedrig. Zudem schlägt ide menschenfremde Architektur der Fenster unter der Decke dem Fass dann den Boden aus.
    Von außen also schö, von innen grausam.

    Gruß

    Andreas

  2. Hanno Gardemann

    22. Dez 09 um 08:26

    Hi Benedikt,
    Die leichten Verzerrungen könnte man doch sicher per EBV in den Griff bekommen, oder?
    Schlimm ist der Zustand des Ensembles. Hoffentlich werden da verantwortungsbewusste Historiker drauf aufmerksam. Die Häuser gehören unter Denkmalschutz und restauriert.
    Hanno

    • Benedikt Hotze

      22. Dez 09 um 09:05

      Klar könnte man im Photoshop die Funktion „Verzerren“ benutzen, um diesen Bildfehler auszugleichen; ich habe diese Bilder allerdings binnen weniger Minuten in das Redaktionssysstem (WordPress) eingefügt und diese Bearbeitung (absichtlich) versäumt.
      Absichtlich deshalb, weil ich mal zeigen wollte, wie man mit absolut minimalem Aufwand brauchbare Architekturbilder erzeugt und ins Netz stellt.

      Übrigens: Die Häuser stehen unter Denkmalschutz; hier der Auszug aus der Berliner Denkmalliste (und ein weiterer schöner Name dieser Siedlung):

      Heerstraße 642-658, Flachbausiedlung Staaken, Doppelwohnhäuser und Musterhaus, 1923-25 von Erwin Gutkind
      Nennhauser Damm 159/175

  3. Dominique Ecken

    22. Dez 09 um 01:10

    Verrückte, interessante Architektur. Kleine Fenster und wie es scheint hohe Räume, oder? Gibt es noch andere Beispiel dieser „klassischen moderne“ in Berlin?

    • Benedikt Hotze

      22. Dez 09 um 09:02

      Es gibt natürlich in Berlin haufenweise Beispiele der klassischen Moderne aus den 20er Jahren; 6 Siedlungen davon wurden sogar jüngst unter Weltkulturerbe gestellt. Derart frühe Beispiele gibt es allerdings selten; mir fällt da vor allem das Haus Sternefeld von Mendelsohn ein (1923).

    • Claus Schlaberg

      22. Dez 09 um 23:06

      Siemensstadt (Gropius, Scharoun, Häring, …), Onkel-Toms-Hütte (Taut), Hufeisensiedlung (Taut), Wohnstadt Carl-Legien (Taut), Sonnenhof (Gutkind), … Die Formen dieses Gutkind-Komplexes in Staaken erinnern sehr an den kurze Zeit später in Celle entstandenen „Italienischen Garten“ von Otto Haesler (leider jetzt durch Restaurierung wie vieles andere superschick gemacht, wie geleckt)

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