Die Großstadt Hamm in Westfalen hat – auch wegen starker Kriegszerstörung – wenig architektonische Reize zu bieten. Umso unverständlicher, dass hier systematisch zerstört wird, was vom Krieg übrig geblieben ist.
Am 19. September 2012 meldete der „Westfälischer Anzeiger“ (WA) das Ergebnis eines Architekturwettbewerbs für die so genannten „Goethegärten“ im Hammer Süden. Das Dortmunder Büro Norbert Post und Hartmut Welters soll hier an der Goethestraße 48-61 im Auftrag der Hammer Gemeinnützigen Baugesellschaft (HGB) 40 altengerechte Wohnungen bauen. Der Bestandsbau aus der Mitte der 30er Jahre ist schon freigezogen und wird abgerissen. In der lokalen Monopolzeitung ist der Bestand als „alter Backsteinblock“ diffamiert worden, der durch etwas „weitaus Ansprechenderes“ ersetzt werden soll.

„Neon your home“: Die gegenüber liegende Straßenseite der Goethestraße wurde durch Wärmedämmvollschutz verhunzt. Foto: Oktober 2012
Die Goethestraße ist eine der zentralen Nord-Süd-Achsen im Stadterweiterungsgebiet des Hammer Südens. Neben gründerzeitlichem Bestand finden sich in diesem Quartier auch einigermaßen qualitätvolle Bauten der Moderne aus der Zwischenkriegszeit. Gerade die Goethestraße ist war durch solche Bauten geprägt. Doch während die östliche Straßenseite nördlich der Alleestraße nun abgerissen wird, ist die gegenüber liegende Seite, ebenfalls durch die HGB, kürzlich unter der Marketingbezeichnung „neon your home“ in „Mietangebote für junge Leute“ umgewandelt worden. Dabei wurden die differenzierten Backsteinfassaden in ungeschlachter Manier mit einem Wärmedämmvollschutz verpackt. Um den jugendlichen Anstrich dieser Wohnungen zu betonen, wurden an den bunten Fassaden neonfarbige stilisierte Farbkleckse aufgemalt. Das Straßenbild der Goethestraße wurde durch diese Maßnahme, die auch noch als ökologisches Modellprojekt beworben wurde, nachhaltig verhunzt.
Es ist nicht das erste Mal, dass die HGB ortsbildprägende Bauten der Moderne im Hammer Süden zerstört. Im Jahr 2007 wurde ein Wohnblock an der Alleestraße/Klopstockstraße/Grünstraße von 1932 abgerissen. Die HGB hatte den Bestand zwar laut WA-Bericht „an sich“ für sanierungsfähig gehalten, weil aber ein bestimmter günstiger Kredit nicht verfallen sollte, wurde dennoch der Abriss angestrebt.

Der architektonisch bemerkenswerte Wohnblock Klopstockstr./Alleestr./Grünstr. wurde 2007 abgerissen.
Foto: Februar 2007
Im Dezember 2006 hatte ich die HGB und den Oberbürgermeister angeschrieben und ausgeführt:
Ich bin der Meinung, dass es sich um einen qualitätvollen Vertreter der Neuen Sachlichkeit aus den 20er Jahren handelt, der ein Schmuckstück für die Stadt Hamm ist. Das Gebäude ist, im Gegensatz zu vielen expressionistisch oder heimatschützerisch angehauchten Objekten in Hamm, der sachlichen Linie der 20er-Jahre-Architektur verpflichtet. Die für den Hammer Süden durchaus beachtliche Ausdehnung des dreiseitigen Komplexes, sein vergleichsweise offensiv modernes Erscheinungsbild und seine differenzierte Gestaltung (Klinkerlisenen, Flachdach, kleine Dachbodenfenster) machen das Gebäude in meinen Augen zu einem erhaltenswürdigen Objekt.
Der Vorgang stellt sich mir so dar, dass ein baugeschichtlich wertvolles und sanierungsfähiges Objekt auf Kosten der Allgemeinheit abgerissen und ersetzt werden soll, nur weil man eine bestimmte (ebenfalls öffentliche) Subvention nicht verfallen lassen will. Wenn es sich tatsächlich so verhielte, müsste ich es öffentlich und überregional anprangern. Daher bin ich sehr an Ihrer Sicht der Dinge interessiert.
Der Unteren Denkmalschutzbehörde bei der Stadt Hamm hatte ich darüber hinaus noch die Fragen gestellt, …
– ob dieses Gebäude der Unteren Denkmalschutzbehörde bekannt ist;
– ob die Behörde meine Einschätzung über Qualität und Denkmalwürdigkeit teilt;
– welche Möglichkeiten es aus Ihrer Sicht gibt, das Gebäude zu erhalten.
Die Antwort kam Wochen später in Form eines Anschreibens einer Anwaltskanzlei, in dem umständlich nichts zur Sache erklärt wurde. Pressearbeit per Anwaltsschriftsatz? Wo gibts denn sowas? Wieviel Angst muss eine Stadtverwaltung haben, wenn sie eine kritische, aber freundliche Anfrage eines auswärtigen Journalisten nicht durch die dafür zuständige Pressestelle beantworten lässt, sondern (auf Kosten des Steuerzahlers) durch Rechtsanwälte?
Ich habe die Sache dann auf sich beruhen lassen. Heute steht dort eine Wohnanlage mit 40 Senioren- und Familienwohnungen, errichtet 2008 nach Plänen des Architekturbüros Eichhorst und Schade, das zuvor einen beschränkten Architektturwettbewerb gewonnen hatte.
Gustav
9. Okt. 12 um 00:31
Zur Alleestraße: In Berlin hätte sowas unter Denkmalschutz gestanden! Hamm ist leider Provinz.