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Datenschutz? Entnazifizierungsakten in NRW öffentlich zugänglich

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Das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, stellt seit 2023 schrittweise digitalisierte Entnazifizierungsakten von Belasteten online, die zum Zeitpunkt der Entnazifizierung (also etwa 1946–48) in den betreffenden Regierungsbezirken ihren Wohnsitz hatten. Auch die Akten meiner beiden Großväter sind hier für die Öffentlichkeit ohne jede Hürde zugänglich. Hier soll 1. am Beispiel der eigenen Vorfahren ein Überblick über die Entnazifizierungspraxis gegeben werden, 2. das Projekt des Landesarchivs NRW vorgestellt werden und schließlich 3. eine Abwägung dieser Veröffentlichungspraxis vor dem Hintergrund des Datenschutzes und der Persönlichkeitsrechte versucht werden.

Deckblatt der digitalisierten Akte meines Großvaters Ewald Hotze

 1. Überblick über die Entnazifizierungspraxis am Beispiel der eigenen Vorfahren

(siehe hierzu auch den entsprechenden Wikipedia-Artikel)

Auf Beschluss der alliierten Bestzungsmächte wurden ab 1946 in allen vier Besatzungszonen Entnazifizierungsverfahren durchgeführt. Deren Ziel war es, NS-belastete Personen zu identifizieren, um sie fortan von öffentlichen Ämtern fernzuhalten. Soweit die Theorie. Da aber die Auseinandersetzungen des Kalten Krieges die weltpolitische Lage zunehmend bestimmten, wurde die Entnazifizierungspraxis zumindest in den westlichen Zonen offenbar zunehmend laxer gehandhabt – manche sprechen auch von einer Farce. Über 80 Prozent der Belasteten wurden jedenfalls in die „harmlosen“ Kategorien 4 (Mitläufer) und 5 (Unbelastete) eingestuft. Auch wenn die zuständigen Kommissionen aus unbelasteten Deutschen bestehen sollten, kann man doch vereinfachend sagen: Hier urteilten Angehörige des Täter-Volks über Täter mit dem Ziel, sie möglichst zu Nicht-Tätern zu erklären. Einen abgewogenen Aufsatz zur Einordnung der Entnazifizierungspraxis im nördlichen Rheinland habe ich übrigens hier gefunden.

Am Beispiel meiner beiden Großväter Ewald Hotze (Akte hier einsehbar) und Bern(h)ard Borchard (Akte hier einsehbar) soll hier ein Schlaglicht auf die Entnazifizierung gerichtet werden.

Ewald Hotze ist in die NSDAP angeblich auf Anraten eines katholischen Pfarrers eingetreten, der nach Abschluss des Reichskonkordats dafür warb, innerhalb der Partei einen starken christlichen Flügel aufzubauen. Auch wenn ich als Nachgeborener hier nicht das Recht auf ein nachträgliches Urteil beanspruchen kann, fallen bei der Durchsicht der Akten sofort Ungereimtheiten auf. Denn das Reichskonkordat wurde bereits 1933 abgeschlossen, Ewald trat allerdings erst 1938 in die Partei ein, als die kirchenfeindlichen Tendenzen des NS-Regimes nicht mehr zu übersehen waren. Das Zeugnis des Pfarrers trägt alle Merkmale eines Persilscheins; also einer Bescheinigung, mit deren Hilfe Dritte Belastete zu Unbelasteten erklären. Diese Einlassungen lesen sich oft wie bestellt und wirken in ihrem unbedingten Entlastungseifer oft sogar unfreiwillig komisch: Geradezu putzig wirkt etwa die Erklärung des Pfarrers, der Belastete habe auf eigene Kosten NSDAP-Schrifttum erworben, um dieses „unwirksam“ zu machen, indem er es „verschwinden ließ“. Familienintern wurde ein anderer Grund für den Parteieintritt kolportiert: Ewald glaubte, damit die Berufschancen seines Bruders Leo Hotze (Akte hier einsehbar) als freischaffender Architekt zu befördern.

Bern(h)ard Borchard ist bereits 1933 in die Partei eingetreten, weil er als in den Niederlanden lebender Deutscher glaubte, damit seine „Zugehörigkeit zum Deutschtum dartun zu müssen“. Einen möglichen späteren Austritt hat er verworfen, weil er als dienstverpflichteter Zivilist im Krieg dadurch Nachteile bekommen hätte.

Beide Großväter berufen sich ausgiebig auf ihre prägende christlich-katholische Weltanschauung, die den Zielen der Nationalsozialisten entgegengestanden hätten.

2. Das Projekt des Landesarchivs NRW

Über die Hintergründe der Veröffentlichungspraxis des Landesarchivs NRW ist im Netz wenig zu erfahren. In einer Notiz vom 29. 8. 2023 wird das Projekt öffentlich vorgestellt. In einer Notiz vom September 2024 wird ein Stillstand bei der Online-Stellung beklagt.

Und so funktioniert es: Über eine Archivsuche lassen sich die Akten leicht auffinden. Sie bestehen aus je zwei eingescannten A4-Seiten, die jeweils zu einer A3-Datei zusammengefasst sind. Über einen Viewer der DFG (erreichbar beim jeweiligen Treffer über den Klick auf ein Bildsymbol) lassen sich diese JPG-Bilddateien durchforsten; außerdem wird eine Download-Funktion angeboten.

3. Abwägung dieser Veröffentlichungspraxis vor dem Hintergrund des Datenschutzes und der Persönlichkeitsrechte

Es handelt sich bei den Akten zweifellos um sensible personenbezogene Daten. Hier werden berufliche Lebensläufe einschließlich Einkommensnachweisen öffentlich, auch finden sich teils sehr konkrete Angaben zu Verwandten und Nachkommen (eher als Beifang). Mich hat überrascht, dass diese Daten ohne jeglichen Nachweis eines berechtigten Interesses für die weltweite Öffentlichkeit frei einsehbar sind. Eine nennenswerte Kritik an diesen Veröffentlichungen habe ich jedoch im Netz nicht gefunden. Da das Projekt sich auf die Geburtsjahrgänge 1922 und älter beschränkt, ist eine 100-Jahresfrist gewahrt, was offenbar vom Datenschutz und von den einschlägigen Persönlichkeitsrechten gedeckt ist. Allerdings werden sich wohl nur wenige NSDAP-Mitglieder finden, die nach 1922 geboren wurden; diese wären bei Kriegsende gerade mal 22 Jahre alt gewesen.

Wenn diese Praxis also juristisch abgedeckt sein dürfte, stellt sich dennoch die Frage nach einer ethischen Bewertung. Und hier vertrete ich die Ansicht, dass die Öffentlichkeit und die (Ahnen-) Forschung ein Recht darauf haben, die Akten von NS-Verstrickten einzusehen. Immerhin sind diese Leute freiwillig Mitglied einer verbrecherischen Partei gewesen, die die Welt mit Terror, Holocaust und Krieg überzogen hat. Mein Mitgefühl für diese Täter – wie auch immer sie bei der Entnazifizierung eingestuft worden sind – hält sich daher in engen Grenzen.

Geschrieben von Benedikt Hotze

5. Januar 2025 um 16:09

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