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Harte Schale, weicher Kern? Denkmalpflegerische Erfahrungen bei der Restaurierung und Sanierung ausgewählter Bauten von Ulrich Müther – eine Tagung in Templin

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Neulich stand im Tagesspiegel, dass Ulrich Müther erst in dem Moment weltberühmt wurde, als sein Ahornblatt in Berlin abgerissen wurde. Das ist nicht ganz falsch beobachtet, denn der Baumeister von der Insel Rügen war in beiden deutschen Systemen nicht vorgesehen und lief lange unter Radar. Bericht von einer Tagung in Templin

In der planwirtschaftlichen DDR war der Ingenieur, der mit seinem Kombinat gleichzeitig als selbständiger Bauunternehmer auftrat, ein Systemsprenger, der nur geduldet wurde, weil mit seiner Baumethode der leichten Flächentragwerke signifikant Material eingespart werden konnte. Und vielleicht auch, weil einige kluge Parteigenossen erkannt hatten, dass sie mit einer aus einer wissenschaftlich-technischen Weltanschauung entwickelten Formensprache Propaganda machen konnten. Doch im Westen wurden seine „Hyparschalen“ eher als DDR-Schrullen wahrgenommen; schon deswegen, weil es hier „hyperbolisch-paraboloid“ zu heißen hatte. Pier Luigi Nervi, Félix Candela, Heinz Isler – sie galten als die Pioniere. Müthers geringe Sichtbarkeit rührte auch daher, dass seine Bauprojekte bis heute mühsam aufgesucht werden müssen: Betriebskantinen im Rostocker Plattenbauviertel, Stadthallen in Mecklenburg oder Bushaltestellen auf Rügen. Und ein Planetarium in Wolfsburg, das mit 10.000 VW Golf in Naturalien bezahlt wurde.

Der Abriss des Ahornblatts im Jahr 2000, so tragisch er war, brachte die Wende in der Wahrnehmung – und damit in der Folge Wertschätzung, Rettung und Sanierung vieler Müther-Bauten. Jedenfalls kann der 2007 verstorbene Baumeister inzwischen auf eine unverbrüchliche internationale Fan-Base zählen. Ein Schweizer Verlag listet in einem hübschen Büchlein alle seine Bauten in Mecklenburg-Vorpommern auf, das Müther-Archiv an der Hochschule Wismar widmet sich der Archivierung seines Nachlasses, und in seiner spacigen Baywatch-Station in Binz kann man inzwischen stilvoll heiraten. Den bodenständigen Müther hätte seine Verwandlung zum Lifestyle-Architekten wohl eher irritiert.

Gleichwohl, der Mythos Müther ist nun mal in der Welt, und so wurde Ende Juni in Templin, an der Grenze zwischen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gelegen, ein Symposium mit dem schönen Titel „Harte Schale, weicher Kern?“ abgehalten. Glücklicherweise in einem Müther-Bau, der soeben von den örtlichen Architekten Beckert und Grabowski sanierten Hyparschale am Bürgergarten – ehemals Speisesaal eines inzwischen abgerissenen gewerkschaftlichen Ferienheims und stadtbekannte Dorfdisco. Die von Denkmalpflegerinnen und Denkmalpflegern dominierte Tagung war erkenntnisreich, gleichermaßen harmonisch wie auch mal kontrovers – somit keine Minute langweilig.

Erste Erkenntnis: Die hier vorgestellten vier Sanierungen aus jüngster Zeit sind qualitativ wesentlich gelungener als einige ältere Maßnahmen. Insbesondere die Sanierung des Teepotts in Warnemünde von 2002, an der Müther noch selbst beteiligt war – womöglich aus finanzieller Not –, wird heute kritisch gesehen, weil der Eindruck des stützenlosen Raums verbaut wurde.

Zweite Erkenntnis: Bei einer denkmalgerechten Sanierung einer papierdünnen Betonschale müssen technische Details aufgerufen werden, vor allem das Thema Betonüberdeckung zum Korrosionsschutz. Bei einer Bauteildicke von 7 cm hat Müther Stahlbewehrungen in drei Lagen von insgesamt 6 cm Dicke untergebracht. Das war nur mit speziellen Beton-Spritzverfahren baubar, für die Müthers Firma „Binz Bau“ die erforderlichen Maschinen (aus dem Westen) besaß. Eine Beton-Überdeckung von nur 5 mm pro Seite wäre heute unvorstellbar und unzulässig – es hat aber funktioniert, solange die Bauten genutzt und beheizt wurden. Doch viele der jetzt zu sanierenden Bauten haben 20, 30 Jahre leer gestanden. Die Betonsanierung (und nachträgliche Dämmung) derartig heikler Konstruktionen ist die anspruchsvollste Aufgabe bei der Revitalisierung solcher Schalenbauten.

Dritte Erkenntnis: Müther war Ingenieur, nicht Architekt. „Seine“ Bauten wurden zwar durch die markanten Schalen gestalterisch geprägt, aber der Gebäude-Entwurf oblag nicht ihm, sondern dem jeweiligen (bisher zu wenig beachteten) Architekten bzw. Planungskombinat. Dennoch hat sich für die denkmalpflegerische Zielsetzung bei den Sanierungen der Grundsatz durchgesetzt: Die harte Schale ist gesetzt, sie muss erhalten werden, der „Rest“ ist weicher Kern und womöglich auch veränderbar. Denn: Es wird nie wieder ein solches Bauprogramm von 75 leichten Beton-Flächentragwerken geben, da diese handwerklich extrem aufwändig und damit ökonomisch nicht mehr darstellbar sind. Die rund 60 noch erhaltenen Müther-Schalenbauten sind als das bauliche Erbe der Ostmoderne unbedingt erhaltenswert.

Wie unterschiedlich Müthers Bauten durch die Zeiten gekommen sind, zeigt das Beispiel von drei identischen Schalen. Eine war Buswartehalle in Dranske und ist verschwunden. Die zweite war ebenfalls Buswartehalle in Binz und steht heute als Betonskulptur ohne Funktion und ohne Wände auf einer Verkehrsinsel. Die dritte wurde als Strandkiosk in Templin errichtet und ist bis heute als solcher in Betrieb. Am Ende der Tagung wurde denjenigen, die immer noch nicht genug von Müther hatten, dieses Kleinod zugänglich gemacht.

Dieser Text erscheint in der BDA-Zeitschrift „Die Architekt“ 4/2025

Bericht des Brandenburgischen Landesdenkmalamts: https://bldam-brandenburg.de/glitzerdecke-fledermaushotel-und-die-kraft-der-schale-zwei-tage-mit-muether/

Strandkiosk Templin von Ulrich Müther. Foto 2015 von Hans G. Oberlack

 

Buswartehalle in Binz/Rügen von Ulrich Müther. Foto: Juli 2021

 

Anke Barz (1962–2023) in der Buswartehalle Buschvitz/Rügen von Ulrich Müther. Foto: 21.07.2021

 

Anke Barz (1962–2023) in der Buswartehalle Buschvitz/Rügen von Ulrich Müther. Foto: 21.07.2021

Geschrieben von Benedikt Hotze

25. Juni 2025 um 21:24

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