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Güstrow: Architekturhistorischer Beifang

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Das schrägste Gebäude der mecklenburgischen Kleinstadt Güstrow (knapp 30.000 Einwohner) sehen wir schon bei der Einfahrt in den Bahnhof: das ungenutzte, aber denkmalgeschützte Stellwerk W4 ist wohl ein Nierentisch made in GDR.

Eine im Krieg unzerstörte Altstadt und einige architektonische Entdeckungen sollen hier vorgestellt werden. Doch zunächst noch einmal zum Stellwerk:

Von den Stellwerken ist das denkmalgeschützte Stellwerk W4 auf der Ostseite der Eisenbahnstraße erhalten geblieben. Im Kern aus der Zeit um die Wende zum 20. Jahrhundert stammend, wurde es in den 1950er Jahren äußerlich modernisiert und im Inneren ein Gleisbildstellwerk eingerichtet. (Wikipedia)

Auf dem Sockelbau ist der Schriftzug „Güstrow“ in Frakturschrift sichtbar, also ein Indikator für eine Existenz dieses Gebäudeteils schon (deutlich) vor 1945; das Obergeschoss mit den auskragenden Beton-Unterzügen und vor allem dem weit auskragenden, abgerundeten Dach müsste nach der Wikipedia-Erläuterung also aus der frühen DDR-Zeit stammen. Ganz überzeugt uns das nicht, würden wir den Bau doch eher in die späten 1920er oder frühen 1930er Jahre sortieren. Aber sei’s drum.

Von unserem Hotelzimmer sehen wir südlich der Altstadt hohe Walmdächer, scheinbar bekrönt von einer modernen Laterne.

Vor Ort löst sich das auf: Die Laterne bekrönt den expressionistischen Wasserturm (Straße am Wasserturm) nach Entwurf von Martin Eggert (andere Quelle: nach Entwurf  von Paul Korff), 2007/08 zu zehn Wohnungen umgebaut.

Und die beobachteten Dächer gehören zu dem Komplex der ehemaligen Luftwaffenschule (1937-43) an der Goldberger Str. 12; das hier gezeigte Gebäude stammt allerdings aus der DDR-zeitlichen Erweiterung 1952-62 nach Entwürfen von H.H. Schreiber. Der Komplex wird heute für eine öffentliche Verwaltungs-Fachhochschule genutzt.

Der Dehio M-V (2000) weiß dazu:

Der monumentale, zur Straße weit vorspringende Bau für Mensa und Aula wohl vom Entwurf des Festspielhauses Hellerau beeinflusst, aber Eingänge und Foyers an beiden Giebelseiten; Sandsteinreliefs, Tanz und Musik, von J. Jastram.

Gesichert von dem schon genannten Paul Korff stammt die katholische Kirche St. Mariae Himmelfahrt (Grüne Str. 25), die, wie in den protestantisch geprägten Kleinstädten des Nordens und Ostens üblich, etwas abseits des Stadtzentrums gelegen ist (1929). Die expressionistische Kirche zeigt im Inneren eine wunderbare Zollinger-Dachkonstruktion.

Parallelen zur katholischen Kirche in Waren an der Müritz drängen sich auf.

Apropos Expressionismus: Dieses teilweise leerstehende Haus in der Straße Krönchenhagen 21-27 haben wir in der Altstadt entdeckt:

Nicht nur ausweislich der wunderschönen Haustür ist es auf 1928 datierbar.

Ebenfalls expressionistisch angehaucht ist das Wohn- und Atelierhaus, das der Architekt Adolf Kegebein 1930/31 für den Bildhauer Ernst Barlach errichtet hatte.

Zuletzt haben wir uns noch das Wohnhaus Neue Straße 33, ebenfalls von Adolf Kegebein, angesehen, das der Dehio etwas unscharf mit 1930/35 datiert. Die Deutsche Digitale Bibliothek datiert es plausibler mit „um 1926“.

Ansonsten hat Güstrow Backsteingotik und viel qualitätvollen Klassizismus zu bieten wie hier in der Domstraße:

Geschrieben von Benedikt Hotze

11. August 2023 um 00:51

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