Neubrandenburg liegt keineswegs im Bundesland Brandenburg, wie man vermuten könnte, sondern in Mecklenburg-Vorpommern. Und dort auch nicht unbedingt da, wo die beliebten Feriendestinationen sind. Bevor man die backsteingotische „Vier-Tore-Stadt“ erreicht, führt die B 96 von Berlin aus über die ehemalige Leninallee. Auf einmal wird es da in der Nordost-Provinz sehr urban im Sinne der Nachkriegsmoderne: Eine sechsspurige autogerechte Stadt tut sich hier aus dem Nichts auf, dazu elfgeschossige Großtafelbauten, die nach erstem Augenschein glücklicherweise noch den Original-Look ihrer Entstehungszeit zeigen. Neubrandenburg wurde nach 1949 mit Macht zur DDR-Bezirkshauptstadt ausgebaut und vervierfachte in der Folge seine Einwohnerzahl.
Die bisherige Nicht-Sanierung der markanten Großtafelbauten an der Leninallee ist offenbar kein Ergebnis bewusster denkmalpflegerischer Bemühungen. Dennoch mag dieses Schlaglicht den Einstieg in diesen Sammelband illustrieren. Denn hier geht es um die DDR-Moderne im Norden der Ex-Republik.
Keine Frage, dass ein solches Buch hochgradig verdienstvoll ist. Wir werden mit Ulrich Müthers Schalenbauten konfrontiert (auch wenn die Rettungsstation in Binz nicht erwähnt ist, die gerade von der Wüstenrot-Stiftung saniert wurde). Wir lernen die postmodernen Anpassungs-Plattenserien in der Rostocker Innenstadt aus den 1980er Jahren kennen und die Adaptionen des zentral vorgegebenen Großtafelbaus für die Rostocker Trabantenstädte aus den 1970ern: Die berühmte Giebel-Sonnenblume ist in das gesamtdeutsche Fernsehgedächtnis eingegangen. Und die Beschreibung von Prora als „stalinistischer Kasernengroßbau“ ist zumindest originell.
Weiter werden Volksschwimmhallen, Kirchenbauten und Kulturhäuser vorgestellt. Doch dem Konzept eines Tagungsbandes geschuldet, ist das Buch nicht zu einem Denkmalinventar geworden. Manche Themen sind unscharf, unentschlossen und auch sprachlich unbeholfen abgehandelt. Der Werkbericht über die Erweiterung der Kunsthalle Rostock hingegen kann eine gewisse analytische Stringenz beanspruchen. Doch durchgängig schwingt hier der larmoyante Sound der Irgendwie-Benachteiligung des Ostens mit. Man hätte aus diesem spannenden Thema etwas Spannenderes machen können.