Wir hatten das verlassene Herrenhaus Patzig-Hof bei Bergen auf Rügen längst verloren gegeben. Doch im Sommer 2022 ist das Gebäude eingerüstet und wird offenbar saniert. Und auch bei zwei weiteren „Lost Places“ auf der Insel gibt es Neuigkeiten: Das Schloss Dwasieden in Sassnitz ist verkauft worden, und das Kurhaus in Putbus wird umgebaut. Doch bleiben weiterhin viele bedeutende Gebäude auf der Insel verlassen…
Auf der Insel Rügen interessieren uns die Guts- und Herrenhäuser, die es in fast jedem Dorf gibt. Sie wurden nach 1945 enteignet und dann entweder unter Besatzungsrecht von den Sowjets aus demonstrativen politischen Gründen zerstört, oder sie wurden in der DDR zweckentfremdet genutzt: als Flüchtlingsheime, als Kindergärten bzw. Schulen oder schlicht zu Wohnzwecken. Nach der Wende 1990 fielen viele dieser Gebäude aus der Nutzung und verfielen. Da Enteignungen aus der Zeit 1945-49 laut Einigungsvertrag nicht rückgängig gemacht wurden, haben manche der Alteigentümer ihren früheren Besitz nach 1990 noch einmal gekauft. Häufiger sind allerdings ungeklärte Eigentumsverhältnisse bzw. Überforderung der kommunalen Eigentümer und somit der Verfall; so auch im Nachbarort von Patzig, Lipsitz bei Thesenvitz, wo wir im Sommer 2022 eine nicht mehr aufbaufähige Ruine vorfanden:
Das im Kern aus dem 18. Jahrhundert stammende und nach 1900 veränderte Gebäude war bis 1998 bewohnt. Es sollen dort Bruchstücke von gotischen Glasfenstern aus der im Ersten Weltkrieg zerstörten Kathedrale von Rouen eingesetzt worden sein; Reste davon sind nicht erhalten.
Nun nach Patzig: Das 1867 in verhalten neugotischen Formen errichtete Gutshaus war 1945 enteignet worden und diente von 1950 bis 1987 als Schule. Seitdem steht es leer. An die Schulnutzung erinnern bis heute eine Aufschrift „Oberschule Patzig“ und ein farbiges FDJ-Logo. Bei unserem letzten Besuch 2021 war das Gebäude teilweise überwuchert und unzugänglich; einige Holzbalkendecken waren eingestürzt, auf dem Dach wuchsen Birken:
Nun scheint es eine Lösung zum Erhalt des eindrucksvollen Gebäudes zu geben; öffentlich zugängliche Quellen zur Neunutzung haben wir bei einer schnellen Recherche im Netz jedoch nicht gefunden.
Während unseres Aufenthaltes auf der Insel erreichte uns überdies die Nachricht, dass das Schloss Dwasieden in Sassnitz verkauft worden sei.
Interessant daran ist zweierlei: Der letzte Eigentümer hat das weitläufige Grundstück mit den verfallenen Resten des Schlosses (und vielen, weit verstreuten Ruinen einer militärischen Nutzung durch die NVA der DDR) offenbar als Betrugsobjekt eingesetzt und eine Grundschuld von 117 Mio. Euro eintragen lassen. Das Geld hat er bei Anlegern eingesammelt, die nun in die Röhre schauen. Nun hat der Insolvenzverwalter laut Presseberichten das Grundstück an einen weiteren Immobilieninvestor veräußert; über dessen Pläne wurde nichts weiter verlautet. Interessant ist allerdings, dass inzwischen nur noch die Flächen neu bebaut werden dürfen, die bereits zu NVA-Zeiten versiegelt waren. Allzu hochfliegende Investorenträume dürften damit gestutzt sein…
Zum zweiten ist Schloss Dwasieden ein inzwischen bekannter Hot Spot für Lost-Place-Enthusiasten; vor Ort haben wir in dem verwunschenen Waldgrundstück ganze Familien angetroffen, die ihren Kindern mal einen zünftigen Märchenwald vorführen wollten.
Das eigentliche Schloss Dwasieden ist 1873-76 von dem Berliner Schinkel-Schüler Friedrich Hitzig in einem monumental-verspielten Spät-Klassizismus errichtet worden und 1948 von der sowjetischen Besatzungsmacht „zur Steingewinnung“ gesprengt worden. Erhalten blieb im wesentlichen nur der östliche Kopfbau der Kolonnaden dieses Baus.
Weiterhin erhalten blieb der Neorenaissance-Marstall, der allerdings seit einem Dachstuhlbrand 1999 als dachlose Ruine dasteht.
Von Sassnitz nach Putbus: Am Rande der eindrucksvollen klassizistischen Planstadt steht seit 30 Jahren der fürstliche Kursaal leer.
Auch hier waren im Juli 2022 Bauarbeiten im Gange; DDR-zeitliche Vorbauten waren bereits abgerissen.
Ein Investor baut hier hinter der historischen Fassade umfangreiche Penthouse-Wohnungen ein; eine öffentliche Nutzung ist offenbar nicht vorgesehen.
Als Lost Place hatten wir in der Literatur bisher auch das Anfang des 19. Jahrhunderts errichtete Herrenhaus von Gut Rosengarten bei Garz wahrgenommen. Hier hat das Pech doppelt zugeschlagen: Zunächst sei das Haus bis auf die gesicherten Umfassungswände „jüngst“ abgetragen worden, dann habe auch noch ein Brand 1996 das im Winkel angeschlossene Wirtschaftsgebäude „bis auf die Grundmauern“ zerstört (Bock/Helms, 2011).
Umso überraschter waren wir jetzt, ein putzmunter saniertes / rekonstruiertes Gebäude anzutreffen. Das war auch noch ganz frisch: „Zum Anlass der Fertigstellung des Herrenhauses von Gut Rosengarten lädt Joachim Berg zum Tag des offenen Hofs mit Jazz-Frühschoppen“ (Ostsee-Zeitung, Juni 2022).
Keine Erfolgsgeschichte ohne Dämpfer: In der Nähe fanden wir dann noch das hoffnungslos verlassene Gutshaus Neparmitz bei Poseritz.
Das Gutshaus ist laut Wikipedia in dem Zeitfenster zwischen 1856 und 1885 errichtet worden „mit Zitaten aus der Gotik und der römisch-byzantinischen Architektur“. Allerdings fällt an der Nordseite ein großes Treppenhausfenster auf, das unmöglich aus dem Historismus des 19. Jahrhunderts stammen kann: Es ist eine Art Thermenfenster mit einem asymmetrischen Rundbogen. Bei Wikipedia wird ohne nähere Erläuterung, aber durchaus plausibel von einem „Jugendstilfenster“ gesprochen. Womöglich haben die neuen Besitzer, die das Gut im Jahre 1900 erworben hatten, hier eine zeitgemäße Veränderung vorgenommen. 1945 wurde auch dieses Gut enteignet und 1998 von der Treuhand an einen Privatinvestor veräußert. Seit 1993 unter Denkmalschutz stehend, wurde es für ein Notsicherungsprogramm vorgeschlagen, das allerdings bis 2022 noch keine Wirkung zeigt.
Hilfreich bei den Touren zu den Gutshäusern ist dieses Buch:
Schlösser und Herrenhäuser auf Rügen
Sabine Bock / Thomas Helms
Edition Temmen, Bremen, 3. Auflage 2011
www.edition-temmen.de