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Wo bleibt Dresden in „Der Turm“?

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Dem Fernseh-Zweiteiler „Der Turm“ (3. und 4. 10. 2012 in der ARD, hier und hier in der Mediathek) ist es tatsächlich gelungen, den episch breit angelegten Roman von Uwe Tellkamp auf einige spannende, Degeto-kompatible Konfliktlinien zu verdichten. Das ist durchaus als Kompliment gemeint (ich bin vor vier Jahren jedenfalls nach gut 200 Seiten Lektüre steckengeblieben, noch ohne dass sich bis dahin allzuviel „Handlung“ herauskristallisiert hatte). Eine große Schwäche der Fernsehverfilmung ist allerdings bisher kaum benannt worden: Der Schauplatz Dresden spielt (fast) nicht mit. Wo der Film versucht, wie „DDR“ auszusehen, versäumt er es, wie „Dresden“ auszusehen.

Screenshot: ARD

Keine Besprechung des Romans oder eben dieses Fernsehfilms, die nicht auf den Schauplatz Dresden abzielt: Dresden, das kein Westfernsehen empfängt, weil es im Tal der Ahnungslosen gelegen ist. Die Kulturstadt Dresden, in der schöngeistiges Bürgertum den Sozialismus in bröckelnden alten Villen aussitzt. Solche Dinge halt. Jedenfalls ist der real existierende Nobel-Stadtteil „Weißer Hirsch“, über Dresdens Elbhängen throhnend und mit einer Standseilbahn erschlossen, im Buch der namensgebende „Turm“. Doch im Film findet er ebenso wenig statt wie der Rest der Stadt Dresden.

Gut, in der Anfangsszene des ersten Teils fährt Hauptperson Christian mit eben dieser Standseilbahn nach Hause. Man sieht kurz die Loschwitzer Brücke im Gegenlicht. In der ersten Szene des zweiten Teils gibt es ein kurzes Panorama über Dresdens Türme, über das noch zu sprechen sein wird. Aber sonst? Gefühlte 90 Prozent des Films spielen in geschlossenen Räumen, in denen die vorherrschende Farbpalette von Beige über Ocker bis Braun reicht. Hier haben die Ausstatter bis zum Lichtschalter alles richtig gemacht: So sah es wohl in DDR-Wohnungen der achtziger Jahre aus. Bei Außenaufnahmen kann man sich nicht so leicht davonmogeln. Sagen wir es so: Wo der Film versucht, wie „DDR“ auszusehen, versäumt er es, wie „Dresden“ auszusehen.

Die Besonderheiten Dresdens, von der stadträumlichen Lage am Elbtal und mit den weinbewachsenen Hängen (Radebeul!) angefangen bis hin zu bekannten, auch in den achtziger Jahren schon (wieder) existierenden Bauwerken (Zwinger! Semperoper! Brühlsche Terrasse!) sind im Film allesamt nicht zu sehen. Hätte nicht wenigstens der Weihnachtsgottesdienst, sagen wir, in der Kreuzkirche stattfinden können? Wenn der Film tatsächlich mal im Freien spielt, ist es meistens Nacht (oder wir befinden uns vor einer Plattenbau-Kaserne, wo der Film militärischen Drill anprangert, als wäre dieser ein DDR-Spezifikum). Die Villen im „Weißen Hirsch“, heute perfekt saniert und in den Begleitmaterialien des MDR auch groß herausgestellt, sind im Film hingegen kaum je identifizierbar.

Nehmen wir die Straße, in der Richards Geliebte mitsamt gemeinsamer Tochter wohnt. Diese Straße ist offenbar bewusst im Kontrast zum bürgerlichen Stadtteil angesiedelt (Screenshot oben): Hier wird mit Lada, Barkas und Straßenlaterne ein typischer Straßenraum dargestellt, wie er in vielen gründerzeitlichen (Arbeiter-)Stadtvierteln in der DDR vorzufinden war: unsanierte Häuser, wenig Autos – man meint geradezu, den Braunkohlenmief zu riechen. Nur ist auch diese Straße untypisch für Dresden: Die meisten gründerzeitlichen Straßen in Dresden bestehen aus einzeln freistehenden Häusern. Natürlich gibt es auch Straßenzüge wie den dargestellten, zum Beispiel in der Äußeren Neustadt, nur schieden diese wegen der heute durchweg sanierten Häuser als Drehort aus. Und dort, wo man fündig wurde (ich vermute, die Szene stammt aus Görlitz), gab es eben keine freistehenden Dresdner Häuser. Vielleicht nur eine Kleinigkeit, aber es passt zu der durchgängigen Nicht-Erkennbarkeit Dresdens im Film.

Screenshot: ARD

Nun noch zu dem erwähnten Panorama (Screenshot oben): Wenn man hier die Türme durchzählt, sieht man an der Horizontline nacheinander Rathausturm, Kreuzkirche, Frauenkirche, Hausmannsturm des Schlosses und katholische Hofkirche. Moment, war da nicht was? Zum Zeitpunkt der Handlung haben Frauenkirche und Hausmannsturm nach Kriegszerstörung (noch) nicht wieder existiert, jedenfalls nicht in der gezeigten Form. Einen solchen krassen Ausstattungsfehler hätte man leicht durch digitale Retusche vermeiden können. Fazit: An den wenigen Stellen, an denen Dresden tatsächlich als Dresden erkennbar ist, stimmt zumindest die Zeitschicht nicht.

Geschrieben von Benedikt Hotze

5. Oktober 2012 um 19:38

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