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Architektur in Essen 1900-1960

2 Kommentare

Essen ist das geografische Zentrum des Ruhrgebiets, des immer noch größten deutschen Ballungsraums. Dass es auch eine Hauptstadt der modernen Architektur des 20. Jahrhunderts ist, zeigt ein liebevoll gemachtes neues Buch.

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Eickhaus Essen, 1915 von Georg Metzendorf. Links: Stadtbildstelle Essen. Rechts: Wolfgang Kleber, 2011. Aus dem besprochenen Band

Die Großstadt Essen war viele Jahre die fünftgrößte Stadt Deutschlands. 1963 hatte Essen sein Allzeit-Hoch von rund 740.000 Einwohnern, heute sind es noch 574.000. Dennoch hatte Essen während des gesamten 20. Jahrhunderts mehr Einwohner als der ewige Rivale, die nahe gelegene NRW-Landeshauptstadt Düsseldorf. Warum diese Zahlen? Weil Essen immer die „große Unbekannte“ war unter Deutschlands Großstädten. Essen war größer als Dortmund, Bremen, Stuttgart oder Frankfurt. Doch wer kennt noch Rot-Weiß Essen? Wem fällt zu dem Essener Traditionsunternehmen Krupp – heute fusioniert zu Thyssen-Krupp – noch viel ein? Und vor allem: Gibt es bedeutende Architektur in Essen? Hier wird den Meisten die Zeche Zollverein einfallen, auch weil dieses wirkmächtige Industriedenkmal inzwischen Unesco-Weltkulturerbe ist und entsprechendes Kulturmarketing genießt. Als die Zeche noch in Betrieb war, kannte sie überregional kaum Jemand.

Es ist von einem sehr schönen Buch zu berichten, das von Essener Architektur-Enthusiasten gemacht wurde und die Architektur der Moderne in Essen vorstellt. Der Kern des Buches besteht aus einer ambitionierten Strecke, die jedes Gebäude auf je einer Seite mit einem historischen Foto und einem möglichst aus der selben Perspektive aufgenommenen aktuellen Bild zeigt. Dazu gibt es zu jedem Gebäude einen knappen Text. Die Bilder sind in edlem Schwarz-Weiß und in hoher Qualiät auf Glanzpapier gedruckt. Kurz: Das Buch genügt höchsten ästhetischen Ansprüchen, oder anders: Man nimmt es immer wieder gern zum Blättern in die Hand.

Und vor allem ist man erstaunt, welch hochklassige Architektur sich hier findet – von der Reformarchitektur der Werkssiedlungen (Margarethenhöhe!) über Backsteinexpressionismus (Wasserturm Frillendorf!) bis zur lupenreinen Neuen Sachlichkeit (Grashof-Gymnasium!). Hier treten immer wieder örtliche Architekten wie Ernst Bode, Georg von Metzendorf, Alfred Fischer oder Edmund Körner auf den Plan, dazu überregionale Baumeister der Moderne wie Otto Bartning, Rudolf Schwarz, Dominikus und Gottfried Böhm oder Wilhelm Kreis. Viele Kaufhäuser und wuchtige Verwaltungsbauten, auch viele Kirchen sind zu sehen – vor allem ist man erstaunt, wie viele Bauten den Krieg doch überlebt haben. Leider sind kaum Industriebauten zu sehen – diese wurden in Essen zwischen den siebziger und neunziger Jahren großflächig zerstört.

Der gewählte Betrachtungsrahmen 1900 bis 1960 erschien den Herausgebern „angemessen“ – ganz versteht man diese Grenzen jedoch nicht. 1918 wäre ein Startpunkt gewesen, der den Historismus des 19. Jahrhunderts ausgeschlossen hätte. Mit dem Jahr 1900 werden hier viele Bauten „mitgeschleppt“, die mit der Moderne (noch) nichts am Hut hatten. Immerhin: Somit war auch die Aufnahme der erwähnten „Reformarchitektur“ möglich. Der Schwerpunkt liegt auf den verschiedenen Ausprägungen der „klassischen“ Moderne zwischen 1918 und 1933. Warum die Nachkriegszeit mit aufgenommen wurde, aber dann nur bis zu der etwas willkürlich erscheinenden Grenze 1960, ist sicher nicht ganz systematisch. Aber sei es drum: Man wollte bewusst nicht „die Messlatte streng wissenschaftlich hoch halten, sondern auf nachvollziehbare Weise erkennbar machen, wie sich die Stadt und ihre Architektur im Laufe der Jahre verändert haben“. Und das ist ganz sicher gelungen.

So ist dieses Buch etwas, was in Essen bislang gefehlt hat – ein Kompendium der modernen Architektur in der ehemals so bedeutenden und dennoch unbekannten großen Stadt.

Nachtrag: Den zweiten Teil dieses Werks, „Architektur in Essen 1960-2013“, bespreche ich hier.

978-3-8375-0246-6
Berger Bergmann (Hrsg.), Peter Brdenk (Hrsg.)
Architektur in Essen 1900-1960
Klartext-Verlag, Essen 2012
220 Seiten, zahlreiche Abbildungen. 14,95 €
ISBN: 978-3-8375-0246-6

Geschrieben von Benedikt Hotze

30. Januar 2013 um 20:14

2 Kommentare zu “Architektur in Essen 1900-1960”

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  1. FH

    12. Jul 13 um 20:53

    Schöner Beitrag, aber der Link ist kaputt. Danke!

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