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Bungalow Germania – der deutsche Biennale-Beitrag ist erstaunlich und verstörend

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So macht man das: Deutschland hat 2014 einen Beitrag zur Architektur-Biennale, der sofort verstanden wird, enorme Schauwerte liefert und dann auch noch der Erkenntnis dient.

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Helmut Kohls S-Klasse ist schon da. Der gepanzerte Dienstwagen steht vor dem deutschen Pavillon in der eigentlich autofreien Stadt Venedig. Der Wagen ist das Erste, aber nicht das Einzige, das hier irritiert. Hingegen ist das Auto das einzige „originale“ Exponat des deutschen Beitrags. Alles andere hier ist ein lupenreines Fake.

Man glaubt ja, den deutschen Pavillon zu kennen. Doch diesmal ist er ganz anders. Das beginnt am Eingang: Wie ein Raumteiler steht ene Wand dahinter, und man muss sich entscheiden, auf welcher Seite man hineingeht. Dahinter tun sich labyrinthartig Räume auf, die es im deutschen Pavillon gar nicht gibt. Hilfe! Wo ist man hier gelandet? Alles hier könnte das Manifest des unbekannten Bungalow-Bauherrn aus den sechziger Jahren sein – bis hin zu original anmutenden Lichtschaltern im abgerundeten Kunststoff-Design der Siebziger. Holzvertäfelte Decke, Furnier, ein mächtiger Außenkamin im Patio. Spätestens hier beginnt man zu zweifeln, wo der Pavillon aufhört und die Installation anfängt. War dieser etwas geschundene Travertinboden hier immer schon, oder ist er im Zuge der Ausstellung hineingekommen? Man geht sicherheitshalber wieder raus, um den Boden bis ins Freie zu verfolgen. Klar, der gehört zum Pavillon. Aber die Ziegelwände, die verschieblichen Glaselemente, die Gardinen: Alles ist täuschend echt nachgemacht. Dreidimensionaler Fotorealismus im Ausstellungsdesign könnte man das nennen. Die Bungalow-Moderne wird hier bis zur Kenntlichkeit entstellt und entlarvt sich als das, was sie (meistens) war: spießig.

Selbst wenn man als eiliger Besucher den Hintergrund gar nicht kennt, teilt sich diese Ausstellung „Bungalow Germania“ unmittelbar mit: Es gibt etwas zu sehen, zu betasten, zu bestaunen, das aus einer anderen Zeit gefallen zu sein scheint. Und genauso ist es ja auch: Die beiden Kuratoren Alex Lehnerer und Savvas Ciricadis, in Zürich lebende Deutsche, haben den Auftrag von Biennale-Leiter Rem Koolhaas ernst genommen, den Zeitraum von 1914 und 2014 zu untersuchen. Sie haben dabei auf die Mitte gesehen: auf das Jahr 1964 – zufällig das Jahr, in dem Sep Ruf den Bonner Kanzlerbungalow für Ludwig Erhard baute. Und genau diesen Bungalow, dessen Original in Bonn kürzlich denkmalgerecht restauriert wurde, haben sie hier in Venedig in Teilen nachgebaut und mit dem bestehenden Pavillon „verschnitten“, wie sie treffend sagen.

Das ist so geschickt gemacht, so architektonisch gedacht, dass irritierende, ja verstörende Räume entstehen. Und es liefert nebenbei den Beweis, dass der deutsche Pavillon gar nicht abgerissen oder umgebaut werden muss, um eine angemessene nationale Repräsentanz zu sein: Er ist es heute schon. Dabei hilft ein Detail aus der Umbaugeschichte des Pavillons, das erst in diesem Jahr wieder ins Bewusstsein tritt: Der Pavillon ist zwar 1938 im Auftrag der Nazis entscheidend umgebaut worden – dies ist ja der fortwährende Stein des Anstoßes –, aber er ist eben auch in der Nachkriegszeit im Inneren „purifiziert“ worden. Dabei sind Wände herausgenommen und das ganze Interieur einheitlich geweißt worden. Mit dieser Maßnahme hat er entscheidend an Tauglichkeit als Ausstellungshülle gewonnen. Die Maßnahme stammt übrigens aus dem Jahr 1964.

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Geschrieben von Benedikt Hotze

5. Juni 2014 um 13:58

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