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Hartmut Frank: Gesinnung lässt sich nicht an den Formen ablesen

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Interview mit dem Hamburger Architekturtheoretiker Hartmut Frank

Draußen ein gleißend heller Wintertag, drinnen dunkel vertäfelte Wände und knarzende Dielen. Die Hafencity-Universität Hamburg verabschiedet ihren Architekturtheoretiker Hartmut Frank mit einem akademischen Symposium in der ehrwürdigen Hamburger Warburg-Bibliothek. Titel: „Die Sprachen der Steine“. Es treten auf: Jean-Louis Cohen mit Erinnerungen an eine französische Wohnbautagung in Grenoble 1973. Marco Pogacnik, der atemlos der Frage nachgeht, ob Adolf Loos überhaupt der Urheber des Loos-Hauses in Wien ist. Bruno Reichlin, der den „glühenden Faschisten“ Luigi Moretti vorstellt und dabei nicht weiter von Faschismus, sondern hauptsächlich von Musik und Barock spricht. Wolfgang Voigt, der an den Traditionalisten Paul Schmitthenner erinnert, und schließlich Hartmut Frank himself, der mit angenehmer Selbstdistanz sein akademisches Leben Revue passieren lässt. In der Nachschau fügen sich diese teils bizarren Splitter zu einem Ganzen: Wir haben hier soeben ein internationales Netzwerk von Forschern erlebt, die in den achtziger Jahren eine gemeinsame These aufbrachten. Sie ist inzwischen längst Allgemeingut und lautet etwa so: Es gibt keine faschistische Architektur. Oder allgemeiner: Die Form kann nicht die Gesinnung wiederspiegeln. Hartmut Frank erläutert das im Interview…

 

Benedikt Hotze: Einige Ihrer engsten akademischen Wegbegleiter haben an dem Symposium in Hamburg teilgenommen, das zu Ihrer Verabschiedung Ende Januar 2011 stattfand. Wie ist dieses informelle, internationale Netzwerk entstanden?

Hartmut Frank: Ich habe mich in den siebziger Jahren mit Stadtökonomie beschäftigt, mit Themen wie Grundrente, Wohnungspolitik und Hypothekarkrediten. So kam ich in Kontakt mit einem Kreis um Manuel Castells und das eurokommunistisch ausgerichtete Centre de Sociologie Urbaine in Paris. Eine völlig andere Szene als in Deutschland! Es gab internationale Tagungen in Italien oder in den USA, wo ich zum Beispiel mit Peter Marcuse von der Columbia University als Vertreter der amerikanischen intellektuellen Linken Kontakt bekam. Parallel habe ich über Franco Stella, der von Venedig aus Kontakte nach Weimar hatte und eigentlich viel lieber in Westberlin war, andere Italiener kennengelernt. Marino Folin, der das KPI-nahe Istituto Gramsci leitete, lud mich zu einer Tagung „La casa e la sinistra europea“ über Wohnungsbau und die europäische Linke ein. Ich habe dort über die Kontinuität der Wohnungspolitik von der Weimarer Republik ins Dritte Reich gesprochen – ein skandalöses Sakrileg damals! – und geriet dadurch in eine direkte Kontroverse mit den Historikern um Manfredo Tafuri.

-tze: Tafuri scheint überhaupt eine zentrale Rolle zu spielen?

HF: Es gab damals nur zwei nennenswerte Orte, an denen eine Architekturgeschichts-Forschung betrieben wurde, die nicht bloß reine Kunstgeschichte war: An der ETH Zürich hatte Adolf Max Vogt 1968 ein Institut gegründet, das heute gta heißt, und im gleichen Jahr an der Universität Venedig Manfredo Tafuri sein Institut für Architekturgeschichte. Beide Forscher haben wiederum die amerikanische Debatten beeinflusst, zum Beispiel durch Aufsätze in Peter Eisenmans Zeitschrift Oppositions. Hier sind ganz neue Theoriegebäude entwickelt worden, die in Deutschland noch lange nicht denkbar waren. Ich habe bis 1983 in Berlin gelebt, und meine dortige Wohnung wurde zu einer Art Konsulat von Tafuri. Mehrere seiner Mitarbeiter wie Marco de Michelis oder Ludovica Scarpa haben zeitweilig bei mir gewohnt. Durch die konkrete Auseinandersetzung mit ihnen wurden wir veranlasst, uns die so genannte traditionalistische Architektur von Tessenow oder Bonatz genauer anzusehen. Ganz konkret führten mich die Kontakte zur Tafuri-Schule zurück zur Architektur.

-tze: Was war denn damals das Neue an Ihren Erkenntnissen?

HF: Wir haben erkannt, dass man stilistische Zuschreibungen nach dem Motto „weiß, glatt, kubistisch gleich fortschrittlich“ begraben muss. Diese „Wiederspiegelungstheorie“, nach der Gesinnung sich in den gebauten Formen ablesen lasse, war zuvor das vorherrschende Dogma gewesen. Wir haben uns dagegen schrittweise von einem politisch konnotierten Avantgardebegriff verabschiedet. Heute ist das Allgemeingut: Niemand regt sich mehr auf, wenn jemand funktionalistische Architektur im Dritten Reich beschreibt.

-tze: War die Tagung über „Faschistische Architekturen“, die Sie im Januar 1983 in Hamburg veranstaltet haben, so etwas wie der Gründungsmythos für dieses Netzwerk?

 

HF: Nein, die Kontakte bestanden lange vorher, in Deutschland hinkte die Debatte allerdings hinterher. Man hatte Speers Architektur als nazistisch und die der Emigranten wie Mies oder Gropius als demokratisch oder gar sozialistisch festgeschrieben.Wenn Sie ein Gründungsereignis festmachen wollen, dann schon eher 1980 in Berlin die von der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst veranstaltete Ausstellung „Grauzonen – Farbwelten“, für die der leider früh verstorbene Christian Borngräber die Design-Abteilung und ich die Architektur betreut hatten. Hier ging es erstmals um modernistische und traditionalistische Strömungen im Nachkriegsdeutschland.

In der Folge haben wir dann Architekten wie Bonatz, Schmitthenner, Höger oder den für mich sehr wichtigen Fritz Schumacher untersucht, Arbeiten, die u.a. Lampugnanis Ausstellungszyklus zur Tradition und Fortschritt im Frankfurter Architekturmuseum stark beeinflussten. Die Folge waren konkrete Konflikte mit Nerdinger, Durth und einigen anderen, die damals noch sehr auf einer gemeinsamen Linie waren. Ich bin da in so manchen Fußnoten als Faschist bezeichnet worden.

-tze: Wo stehen Sie denn politisch? Sind Sie noch ein Linker?

HF: Es ist heute schwerer denn je, die Trennungslinien zu ziehen. Ich habe nie einer Partei angehört, ich war freischwebender Marxist und habe mich immer näher bei den italienischen oder französischen Linken gesehen als in der deutschen K-Gruppen-Landschaft. Ich würde mich schon als Linker verorten, aber die Überzeugungen Mancher der Siebziger habe ich nie geteilt.

-tze: Sie sprechen von den „Sprachen der Steine“. Können Sie die zentrale These von Ihnen und Ihren Weggefährten zusammenfassen?

HF: Die Zuschreibung von Inhalten zu Formen unterliegt historischen Konjunkturen. Die Steine sind da, die Formen sind da, aber sie sind nicht Träger von Inhalten, allenfalls deren Reflektoren. Die Steine sprechen nicht, sie sind stumm. Aber die Menschen sprechen; es braucht ihre Erklärungen, um den Steinen Sinn einzuschreiben. In initio verbum erat, um die ersten Worte der Vulgata* zu zitieren: Im Anfang war das Wort.

-tze: Sie sind von der Hafencity-Universität (HCU) in Hamburg in Ehren emeritiert worden und haben dennoch kritische Worte über diese neu gegründete Schule gefunden. Sie sprachen von einer „Fachhochschule mit neuem Türschild“. Was ist da los?

HF: Die HCU ist ein Konglomerat, für das die Stadtplaner aus der TU Harburg, die Architekten aus der HfbK und die Architekten, Bauingenieure und Geodäten aus der FH herausgenommen wurden. Eine Evaluation der Lehrkräfte wie im Osten hat es dabei nicht gegeben. Dadurch haben wir eine große Majorität an FH-Professoren. Das birgt Sprengkraft, sie majorisieren alle Gremien und vergrößern das Lehrdeputat, weil sie weiterhin eine Lehrverpflichtung von 18 Stunden haben. Immer, wenn jemand pensioniert wird, fällt die Stelle weg, weil ja schon genug Kapazität besteht. So fügt sich eine Laküne** an die nächste. Auch meine Stelle ist „künftig wegfallend“.

-tze: Sie sind zwar emeritiert, aber in Zukunft bestimmt nicht stumm wie die Steine. Was machen Sie als Nächstes?

HF: Zwei große Ausstellungen. Mit Jean-Louis Cohen eine über die Interferenzen zwischen Deutschland und Frankreich in Architektur und Städtebau des 19. und 20. Jahrhunderts. Diese Ausstellung wird 2013 in Straßburg gezeigt und geht dann nach Frankfurt. Für das zweite Projekt „Der ganze Behrens“ verhandele ich gerade mit anderen Städten, nachdem Hamburg und Berlin geplatzt sind. Aber am Montag fahre ich erst einmal nach Singapur und eröffne dort meine Ausstellung „Zwei deutsche Architekturen 1949-1989“.

*Vulgata: Lateinische Bibelübersetzung

**Laküne: Lücke in einem Text

[Interviewtext autorisiert von Hartmut Frank am 26. 2. 2011]

Hartmut Frank

Geschrieben von Benedikt Hotze

10. März 2011 um 16:27

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