Auf dem Weg zu einigen Bauten der Moderne im Havelland findet man am Wegesrand auch noch etwas ganz Anderes: Kirchen der Schinkelschule zum Beispiel. Und eine Goldelse im Wald. Ein Bericht von einem kleinen Sonntagsausflug im Februar 2014.
Die denkmalgeschützte Einfliegehalle ist so ziemlich das Einzige, was von den riesigen Heinkel-Flugzeugwerken in Oranienburg übrig ist. Erbaut 1936-39 von dem Architekturbüro Herbert Rimpl (das in der Nazizeit fast wie ein Konzern geführt wurde und formal „moderne“ Architektur für Rüstungsbetriebe geliefert hat), ist sie heute in einem sensationell desolaten Zustand. Bei einem Besuch vor wenigen Jahren noch hermetisch verschlossen, ist der Vandalismus inzwischen so umfassend, dass man problemlos hinein kommt.
Egon Eiermann, der in der Nachkriegszeit – mit Lehrstuhl in Karlsruhe – Erfolge als Großarchitekt feiern konnte, war bereits in der Nazizeit vom Standort Berlin aus aktiv. So entwarf er zum Beispiel 1934-38 die Corporate Identity der Berliner Bestatter-Kette Grieneisen mit ihren schwarzen Fliesen (wer vor über 20 Jahren in Berlin ankam, kennt das noch), und Eiermann war es auch, der später die kriegsbeschädigte Gedächtniskirche modern wieder aufbaute. In der Nazizeit konnte Eiermann Industriebauten modern gestalten; sein bedeutendstes Werk aus dieser Zeit ist die Total-Feuerlöscherfabrik in Apolda. Aber auch in Oranienburg gibt es einen ähnlichen Bau: die Märkische Metallbau GmbH, errichtet 1939-42. Beim Besuch in der Rungestraße jetzt der allererste Eindruck: Wow, Eiermannsche Flugdächer, wie in Apolda! Der zweite Eindruck ist aber Enttäuschung: Das ganze Ding ist kürzlich saniert worden, und das anscheinend lieblos. Fette Fensterprügel an der Treppenhausverglasung, eine komplett neue, wie geleckt wirkende Fassadenverkleidung aus Fliesen, billigste Plastik-Jalousien, und zu allem Überfluss sinnlose bunte Logos an den Giebeln. Wozu braucht eine Montessori-Grundschule so etwas?
Denn eine solche ist inzwischen der Nutzer des Gebäudes, das zuvor mehrere Jahre leerstand und verfiel. Fotos bei der Wikipedia zeigen, dass es im Jahre 2008 nicht unbedingt besser aussah, Bäumchen auf dem Flugdach inklusive. Im Netz schnell nachgeschlagen, hat hier offenbar ein privater Schulträger ohne öffentliche Zuschüsse sein Bestes versucht. Die Fassadenfliesen wurden sogar gutwillig nach historischem Befund nachgebrannt. Schade, dass das Ergebnis dennoch nicht wirklich überzeugt.
Nachtrag: In einem ausführlichen Beitrag der Publikation „Brandenburgische Denkmalpflege“ Jahrgang 21 • 2012 • Heft 1, die mir das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege als Herausgeber freundlicherweise auf Anfrage zugeschickt hat, wird diese Sanierung (Architekt: Andreas Kistenmacher, Wandlitz) als gelungen gelobt. Man wird wohl keine höheren Erwartungen haben können, wenn private Denkmalbesitzer ohne öffentliche Zuschüsse auskommen müssen.
Das eigentliche Ziel unseres Sonntagsausflugs war die Rentengut-Siedlung in Fehrbellin. Ein Architekturführer meinte, dass die dort 1928-32 errichteten Selbstversorger-Häuser (Architekt: Arthur Hackland, Deutsche Bauhütte) „trotz starker Überformung“ dennoch „heute noch einen Eindruck von der Ausstrahlung der Moderne in den ländlichen Raum“ vermittelten. Das Zentrum der Anlage, ein Café, wurde in dem 2011 erschienenen und dafür neu durchfotografierten Buch besonders hervorgehoben. Leider hat ein örtlicher Finanzheini seine abweichende Auffassung von Denkmalpflege im ländlichen Raum dort inzwischen umgesetzt.
Wenn schon stürzende Linien, dann aber richtig: Die unübersehbare Stüler-Kirche in Fehrbellin (1866/67). Friedrich August Stüler war einer der wichtigsten Schinkel-Schüler.
Schon bei der Anfahrt auf Fehrbellin von der Autobahn aus ebenfalls unübersehbar: die Kirche von Tarmow im Rundbogenstil der Schinkelschule, 1834/35 von F. W. E. Jacobi. Schönes Teil! Klassizismus rules.
Ebenfalls bei Fehrbellin, bei dem Dorf Hakenberg, leuchtet eine Goldelse aus dem Wald: ein Aussichtsturm, der 1865 zum 200. Jahrestag der Schlacht bei Fehrbellin errichtet wurde. Die Statue der Siegesgöttin Victoria ist tatsächlich ein Nachguss der Berliner Goldelse. Freundlicherweise kostet der Aufstieg keinen Eintritt. Allerdings sieht man von oben auch nichts Interessantes.
Das „Storchendorf“ Linum präsentiert eine anspruchsvolle neugotische Kirche, die man für mittelalterlich halten könnte. Doch sie stammt von 1868 von A. von Glasenapp. Immerhin sind „im Unterbau des Turms und im Ostabschluss Feldsteinmauerwerk des spätgotischen Vorläufers einbezogen“ (Dehio).
Die Dorfkirche von Oranienburg-Germersdorf erwähnt der Dehio Brandenburg hingegen nicht. Doch Wikipedia weiß: Das Kirchenschiff ist barock, wurde 1739 erbaut, nachdem die alte Kirche Opfer eines Feuers wurde. Der Turm stammt hingegen von 1861. (Schinkelschule, flüstern wir).
Die evangelische Pfarrkirche St. Nicolai (wieso haben die Evangelen eigentlich Heilige?) in Oranienburg hat der bekannte Architekt Friedrich August Stüler 1864-66 im Rundbogenstil der Schinkel-Schule errichtet.
Nachtrag 8. 4. 2014: In der schon erwähnten Publikation „Brandenburgische Denkmalpflege“ fand sich noch ein Hinweis auf einen gefährdeten Eiermann-Bau in Oranienburg, den ich mir vorgestern angesehen habe. Es handelt sich um ein Büro- und Kantinengebäude als Erweiterungsbau für eine Fabrikanlage der Märkischen Metallbau GmbH, errichtet etwa 1940/41 in der (heutigen) Stresemannstraße. Die gründerzeitlichen Bestandsbauten, an die Eiermann sich anpasste, waren als Gaswerk errichtet worden. Das unter Denkmalschutz stehende Eiermann-Gebäude ist heute verlassen und mit Reklame für ein Einfamilienhausgebiet behängt. Eiermanns Biografin Sonja Hildebrandt beschreibt eine aus dem Baukörper ausgeschnittene, offen ins Obergeschoss führende Außentreppe als „charakteristisches Merkmal“ dieses Baus – „eine weniger aufsehenerregende Variante der Außentreppen, die seit Anfang der zwanziger Jahre zum Repertoire Le Corbusiers gehören“. Man wird sich das Repertoire Le Corbusiers noch einmal auf derartige Merkmale ansehen müssen.
Die für Eiermann im Villenbau der dreißiger Jahre typischen speziellen Mauerwerksverbände fehlen hier bei diesem im Krieg errichteten Industriebau
Hinter dem Haus die Havel…
Nachtrag 24. 5. 2020: Das Eiermann-Gebäude in der Stresemannstraße 63 in Oranienburg ist umgenutzt und saniert worden. Architekten: Klaus-Meier Hartmann (ehemals Präsident der Berliner Architektenkammer) für die Entwurfs- und Genehmigungsplanung (bis Lph. 4) und Hartung & Ludwig, Weimar/Berlin, für Ausführungsplanung und Bauleitung (ab Lph. 5)