Kann man Konsumgüter durch die Vergabe von Schulnoten vergleichen? Lässt sich an Hand von Nachkommastellen ein objektives „Qualitätsurteil“ in die Welt setzen, von dem regelmäßig Millionen von Verbrauchern ihre Kaufentscheidung abhängig machen? Die unabhängige Stiftung Warentest versucht dies seit Jahrzehnten und mit besten Absichten. Bei Produkten wie Waschpulver erscheint ein solches Test-Ranking auch als unmittelbar plausibel. Doch bei komplexen technischen Geräten wie – beispielsweise – dem iPhone und seinen Konkurrenten stößt das Warentest-Verfahren an seine natürlichen Grenzen.
Eine Freundin kam kürzlich mit einem leicht schadenfrohen Gestus auf mich zu, wedelte mit einem (schon etwas älteren) Exemplar der „test“-Zeitschrift und trug vor: „Die Stiftung Warentest hat Smartphones und Multimedia-Handys getestet. Siehe da: Dein iPhone ist ja gar nicht das beste!“ Tatsächlich schnitt in der Ausgabe 9/2010 das aktuelle iPhone 4 von Apple mit „nur“ 2,3 Punkten ab; einige andere Telefone, darunter deutlich preiswertere, hatten eine „bessere“ Note, nämlich 2,2. Überschrift des Ganzen: „Nokia knapp vorn“.
Nun haben aber Ausstattungsmerkmale und Fähigkeiten solcher Geräte bei verschiedenen Verbrauchern unterschiedliche Gewichtungen. Sprich: Was für den einen essentiell ist, mag dem anderen ziemlich egal sein. Der eine braucht unbedingt einen lange haltenden Akku, während er nicht viel im Internet surfen will, der andere muss mehrere e-Mail-Konten komfortabel verwalten können, kann aber auf ein hoch auflösendes Display verzichten. Derlei könnte man jetzt auf die Spitze treiben. Daher: Gerade wegen der unterschiedlichen Nutzeranforderungen kann es gar nicht „das beste“ Smartphone geben. Es kann allenfalls den „besten Kompromiss“ geben zwischen eigenen Anforderungen, Qualität und Preis. Nur: Ist da ein Punkteschlüssel wie der der Stiftung als erster Anhaltspunkt nicht doch hilfreich? Erst recht für solche Verbraucher, die noch keine genaue Vorstellung davon haben, was sie mit einem solchen Gerät alles machen wollen und einfach nur ein „gutes Preis-Leistungsverhältnis“ suchen?
Ich meine: nein. Durch die Notenvergabe wird eine Schein-Vergleichbarkeit suggeriert, die es angesichts des Gesagten gar nicht geben kann. Wenn ich im Folgenden einige Ungereimtheiten aufzeige, so tue ich dies dennoch „systemimmanent“.
Ob ein internetfähigen Telefon im Alltag Freude oder Verdruss bereitet, zeigt sich erst im Detail. Kann es komplexe Webseiten wie die Startseiten vieler einschlägigen Nachrichtenportale fehlerfrei und gut navigierbar darstellen? Kann es Pop-Up-Fenster, Webformulare und Auswahldialoge vernünftig handhaben und einbinden? Kann es mit zeitweiligen Empfangsschwierigkeiten, z.B. unterwegs, umgehen, ohne sofort einen ganzen Vorgang abzubrechen? Kann es ein 150-seitiges, bebildertes PDF, z.B. die e-Paper-Version eines populären Magazins, einwandfrei darstellen – so wie es das iPhone schon von Hause aus gut kann und mit einer kostenlosen App wie „Good Reader“ noch viel besser kann? Wird eine solche Zustatz-App, einmal installiert, praktischerweise bereits im e-Mail-Programm, mit dem man das PDF gerade geladen hat, als Zusatzoption angeboten? Solche Fragen sind keine Technik-Spitzfindigkeiten, sie entscheiden vielmehr darüber, ob das Gerät brauchbar ist oder nicht. Bei der Stiftung Warentest gehen diese Dinge aber in einem nicht näher nachvollziehbaren Punkteschlüssel unter.
Immerhin haben die Warentester zu jedem Gerät einen frei formulierten Kurzsteckbrief formuliert. Und da lesen wir zum Beispiel bei einem (teuren) Samsung-Gerät Erstaunliches: „Nicht besonders gut zum Surfen im Internet geeignet“. Ein Multimedia-Handy, das eine der wichtigsten Disziplinen des Multimedia nicht beherrscht, müsste doch sofort als „mangelhaft“ eingestuft werden. Eigentlich. Die Warentester vergeben dennoch das Qualitätsurteil „Gut (2,4)“. Was soll man auf ein solches Urteil geben?
Die Displaygrößen der Geräte variieren stark. Das iPhone hat eines der größten Displays des Marktes, überdies ist es sehr viel feiner aufgelöst als die Anzeigen aller Konkurrenzgeräte, es ist also nicht nur größer, sondern auch um Dimensionen schärfer. Dieses edle Ausstattungsmerkmal schlägt sich jedoch nicht erkennbar in der Punktewertung nieder. Das iPhone hat einen eingebauten Speicher von (mindestens) 16 Gigabyte. Andere Geräte im Test haben nicht mal ein Zwanzigstel davon. Dennoch: Auch hier kein Niederschlag in den Punktbewertungen. Statt dessen bemäkeln die Tester beim iPhone kleinlich: „Speicher nicht erweiterbar“. Ein anderes eher teures Gerät, ein Blackberry, kann kein GPS, es entfällt also die Möglichkeit, den eigenen Standort per Satellit zu orten, was die Voraussetzung für Navigationssysteme und viele Landkartenanwendungen ist. Die Stiftung Warentest vergibt bei diesem Gerät in der Rubrik für GPS also keine Note, sondern das Qualitätsurteil mit dem schönen Namen „entfällt“. Kunststück: Was nicht dran ist, kann auch nicht unangenehm auffallen, haben sich die Tester wohl gedacht. Beim iPhone führt hingegen eine nur „befriedigende“ Note in der Rubrik „Handhabung“ zur Abwertung des gesamten Geräts. Begründung: Es sei keine Gebrauchsanweisung dabei. Dass ein iPhone selbsterklärend ist und keine Gebrauchsanweisung benötigt, kommt im Horizont solcher Tester nicht vor. Spätestens hier wird klar, dass hier Apple mit Birnen verglichen werden.
Fazit: Natürlich gibt es auch zum iPhone viel Kritisches anzumerken, darunter die Zwangsregistrierung bei Apple, die Kontrolle des App-Marktes durch Apple und die enge Bindung an bestimmte Telefonprovider (die allerdings kürzlich stark gelockert wurde). Aber eine um Zehntelpunkte „bessere“ oder „schlechtere“ Bewertung bei „Stiftung Warentest“ kann nach dem Gesagten ganz gewiss nicht als Argument für oder gegen ein bestimmtes Gerät dieser Komplexität herangezogen werden.
Nachtrag: Im neuesten Heft 01/2011 von „test“ sind erneut Smartphones getestet worden, allerdings nicht das iPhone.