Schwere Wolken über Berlin. Dennoch hängen die Piraten oben. Eine kleine Bildbetrachtung zur kommenden Abgeordnetenhauswahl.
(Übrigens: Der Turm da auf dem Schnappschuss ist die Kirche am Hohenzollernplatz von Fritz Höger, 1931).
Wir haben hier im Bundesland Berlin eine Landtagswahl am 18. September, aber keiner geht hin. Keiner? Durch die neuerdings aufgehängten Plakate im Stadtraum kann man sich dem Thema nicht mehr ganz entziehen.
Im Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“ hat Jens Bisky kürzlich den verdienstvollen Versuch gemacht, die Wahlentscheidung der Berliner anhand des Themas „Stadtentwickung“ zur Prüfung zu stellen. Stadtentwickung? Was ist das denn? Nun, dabei geht es um Architektur und Städtebau, zum Beispiel um die Nachnutzung des Flugplatzes Tempelhof oder um Baugruppen in Mitte, aber auch um so praktisch relevante Themen wie Miethöhe und Bodenpreise. Der – relativ neu in Berlin ansässige – avantgardistische Architekt Arno Brandlhuber hat aus Protest gegen die Ununterscheidbarkeit der Parteien beim Thema Stadtentwicklung bewusst sinnlose eigene Plakate kleben lassen: Sie zeigen einen durchschnittlichen Ocker-Ton ohne Worte. Das ist schon fast Kunst.
Zurück in die Niederungen der Alltagspolitik. Ganz unten auf dem gezeigten Wilmersdorfer Plakatständer wirbt der Baufachmann der CDU im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, Klaus Dieter Gröhler. Nach allem, was wir aus den Lokalmedien wissen, scheint das ein halbwegs vernünftiger Typ zu sein. Er kann sich aber nicht dagegen erwehren, dass der Gesamtberliner Senat seine Charlottenburger Entscheidungen für nichtig erklärt und – zum Beispiel – die denkmalgeschützte Deutschlandhalle von Richard Ermisch (1935) zum Abriss freigibt. Der Abriss läuft bereits, die Abrissfirma hat aber die Anweisung, bis zur Wahl nur unauffällig im Inneren abzureißen, damit die Wiederwahl von Wowereit (SPD) nicht durch sichtbare Trümmer gefährdet wird.
Darüber auf dieser Säule steht das Plakat des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit. Aus hiesiger Sicht ist der Mann eigentlich unwählbar: Er befürwortet den vollkommen bekloppten Weiterbau der Autobahn A 100 mitten durch Wohngebiete, obwohl das Zeitalter des individuellen Autoverkehrs doch definitiv zu Ende geht. Bei den Flugrouten, im Moment der ganz große Aufreger in Berlin, zeigt er keine Führungskraft, sonst hätte er die Beibehaltung der ursprünglichen Routen, auf die sich alle Leute jahrelang verlassen haben, zur Chefsache machen müssen. Aber auch die CDU blamiert sich im Moment heftig durch eine Plakataktion gegen Fluglärm, die opportunistisch nur in Westberliner Stadtteilen geschaltet wird. Doch kaum jemand hat sich in der Vergangenheit mehr für den neuen Flughafen und dessen wirtschaftsnahe Ausgestaltung eingesetzt als die Berliner CDU…
Ganz oben auf der Säule schließlich werben die Piraten. Zu meiner Überraschung mit dem Thema „Mindestlohn“. Komisches Thema, das könnte auch von der Linken oder der SPD kommen. Die Piraten haben sich jetzt offenbar einem Zwang zur Mehrfachthematik unterworfen. Als monothematische Partei waren sie bei der letzten Bundestagswahl noch als interessante Alternative wählbar – und da haben sie immerhin 2% der Wählerstimmen eingefangen. Das waren eine Million erwachsene Menschen. Damals ging es gegen Internetsperren und Zensursula, doch worum geht es heute? Mindestlohn? Haha.
In Berlin geht es vor allem um die Arithmetik der Altparteienszene. Gewinnt Künast von den Grünen (was im Moment nicht mehr wahrscheinlich erscheint), wäre sie dennoch nicht der/die erste grüne Ministerpräsident/in in Deutschland; das hat Kretschmann in Stuttgart schon geschafft. CDU und FDP sind vernachlässigbare Größen, also wird es wieder auf irgendwas mit SPD hinauslaufen. Ich kenne niemanden, den das Ergebnis dieser Wahl interessieren würde. Nicht mal den Mann mit den Protestplakaten, Arno Brandlhuber.