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„Herders Kleines Bildungsbuch“ von 1960

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Ein Kompedium, das katholischen Jugendlichen in der Nachkriegszeit die Welt erklärt, erweist sich in der Rückschau als paternalistisch, selbstgefällig und salbungsvoll. Ein Fund im Bücherschrank der Großeltern wirft ein Schlaglicht auf die Erziehungsideale, mit denen die Generation der Babyboomer konfrontiert wurde.

Wir haben dieses Buch um 1981 herum im Bücherschrank des großelterlichen Haushalts gefunden. Wir, das waren drei Cousins, zwischen 13 und 16 Jahre alt, die sich über dieses Buch köstlich amüsiert haben – besonders über die erhitzt-verschmockten Passagen zur Sünde der Selbstbefriedigung im Kapitel „Der Geschlechtstrieb in der Reifezeit“ („… der lösende Genuß“). Zeittypisch haben wir mit dem dicken Edding fette Anarchiezeichen in das Buch gemalt und dazu auf dem Radiorecorder Ramones-Cassetten abgespielt. Wir waren sehr cool damals, zumindest haben wir uns so empfunden.

Bei einer späteren Haushaltsauflösung ging das Buch dann verloren; ich habe es nun antiquarisch erneut besorgt. Es war nicht besonders teuer, kostete es in einer wohlbehaltenen Bibliotheksausgabe mit Schutzumschlag doch lediglich 0,25 € zuzüglich Versand.

„Herders Kleines Bildungsbuch“ ist erstmals 1956 in dem gleichnamigen katholischen Verlag aus Freiburg erschienen. Die Autoren sind namentlich nicht ausgewiesen, obwohl sie dem Leser ständig mit „wir“ entgegentreten. Autoritäten mussten sich damals nicht legitimieren, sie hatten schon deswegen Recht, weil sie es konnten – Recht haben und ein solches Buch schreiben.

Einen Vermerk über eine kirchliche Druckerlaubnis (Imprimatur) trägt es übrigens nicht, aber es darf dennoch als kirchlich abgesichert gelten. Eine zeitgenössische Rezension fand das Buch eigentlich gut, mit der bedauernden Einschränkung, „dass es nur für Katholiken ist“.

Das Buch wurde in schneller Folge neu aufgelegt; ich habe bewusst die „durchgesehene“ 9. Auflage von 1960 besorgt, weil es die ist, die wir damals mit dem Edding traktiert hatten.

Universallexikon, Welterklärung, Berufsberatung, Katechismus und Sexualaufklärung: Dieses Buch will auf gut 800 sehr eng bedruckten Seiten alles. Am irrsten sind die Bilder und ihre Bildunterschriften.

Aus den „Blättern zur Berufskunde“ in Herders kleinem Bildungsbuch: „DER KELLNER. Höflich reicht er die Genüsse – andern“ (sic!). Die Pointe kommt nach dem Gedankenstrich: Servilität als Berufsmaxime, dazu eine HJ-Frisur mit Scheitel. Es dürfte klar geworden sein, warum wir uns als Jugendliche darüber beömmelt haben.

Besonders erfolgreich scheint das Buch schon damals nicht gewesen zu sein: Es ist ausweislich der Bibliotheks-Datumsstempel genau dreimal ausgeliehen worden: zweimal 1962, einmal 1964. Kann natürlich daran liegen, dass es in der Evangelischen Gemeindebücherei Trier, Nordallee 9, stationiert war. Falsche Konfession!

Geschrieben von Benedikt Hotze

23. August 2017 um 00:42

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