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Métro in Lausanne

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Es ist über 20 Jahre her. 1988/89 habe ich ein Jahr in Lausanne studiert. Die Uni lag damals wie heute auf einem Campus weitab der Stadt. Doch damals war sie quasi unerreichbar. Mit dem Auto parken durfte man dort nicht, eine Bahn gab es nicht, und mit dem Fahrrad musste man sich gegen die zum Teil extremen Steigungen im Stadtgebiet abkämpfen. Ein Besuch heute macht staunen: Lausanne hat ein funktionierendes Nahverkehrssystem bekommen – für die Bürger, nicht gegen sie wie bei Stuttgart 21.

Sie war damals schon in Bau, aber da sie noch nicht fuhr, beachtete man sie auch nicht: Die „Métro Sud-Ouest“, heute Linie „m1„. 1991 wurde die Strecke eingeweiht, sie führt vom Gare du Flon in der Innenstadt am ausgedehnten Campus von Uni (UNIL) und Polytechnischer Hochschule (EPFL) vorbei bis zum Vorort Renens. Über 20 Jahre nach der Auslagerung der Hochschulen gab es damit endlich und erstmalig eine Schnellbahnanbindung des Campus an die City.

Und nicht nur das: Durch die Anbindung an die bestehende Zahnradbahn nach Ouchy am Seeufer hatte Lausanne damit erstmals so etwas wie ein U-Bahn-System bekommen. Immerhin konnte man jetzt durch Umsteigen auf der Station Flon auch den Hauptbahnhof per Bahn erreichen. Die Zahnradbahn wurde allerdings eher als historisches Kuriosum wahrgenommen denn als leistungsfähiger Verkehrsträger. Ich habe sie damals jedenfalls so gut wie nie benutzt.

Das änderte sich komplett mit der Verlängerung dieser Linie, die im Jahr 2002 bei einer Volksabstimmung mit Zweidrittelmehrheit (Kanton) bzw. Dreiviertelmehrheit (Stadt) angenommen wurde. Derart basisdemokratisch legitimiert, wurde die Linie „m2“ unter Einbeziehung der historischen Trasse Ouchy-Flon bis 2008 komplett neu gebaut. Aus der Zahnradbahn wurde die steilste Adhäsions-U-Bahn der Welt, das heißt, dass die vollautomatisch und führerlos gesteuerten Bahnen ihre Kraft durch Reibungswiderstand (und nicht durch Zahnräder oder Seile) auf die Schiene bringen.

Die Linie wurde nach Norden über Flon hinaus unter der historischen Altstadt hindurchgeführt und endet im Vorort Epalinges. Sie verkehrt unter der Woche bis Mitternacht und wird augenscheinlich hervorragend angenommen. Bei meinem jetzigen Besuch nahm ich mir ein einigermaßen preiswertes Hotelzimmer an eben jenem oberen Ende der Linie. Ohne die U-Bahn-Anbindung wäre ich nicht auf die Idee gekommen, einen derart abgelegenen Hotelstandort auch nur in Erwägung zu ziehen.

Und noch etwas Sinnvolles ist passiert: Die Vorortbahn Lausanne-Echallens-Bercher (LEB) ist in dieses System einbezogen worden. Damals, vor 20 Jahren, war diese Bahn ebenfalls so etwas wie ein Kuriosum. Ihre trutzigen, dunkelgrünen Triebwagen hatten für mich immer den Charakter von Militärfahrzeugen. Auf der Avenue d’Echallens, wo ich damals wohnte, kamen diese Züge stadtauswärts dem fließenden Autoverkehr  entgegen, wodurch dieser auf die Gegenspur ausweichen musste, was wiederum den Gegenverkehr auf seiner eigenen Trasse zum Anhalten zwang. Mit der entsprechenden Geräuschentwicklung durch Rumpeln und unablässiges Tuten war die Vorbeifahrt eines solchen Zuges stets ein archaisches Spektakel.

Damit ist jetzt Schluss. Durch Umwidmung von Parkspuren hat die LEB nun auf der Avenue d’Echallens ihre eigene Schienenspur und kommt dem Autoverkehr nicht mehr in die Quere. Vor allen Dingen aber wurde die Strecke per Tunnel verlängert: Endete sie früher an der Station Chauderon, etliche hundert Meter vor der Innenstadt, fahren die sauberen und modernen Bahnen nun bis zum erwähnten Umsteigeknoten Flon.

Und das angrenzende Quartier du Flon ist auch völlig umgekrempelt worden: War es vorher eine Art Exklave aus alten Industriebauten, unbeachtet eine Etage unter dem Niveau der Innenstadt gelegen, wo man nicht hinkam und nicht hinging, sind die alten Lagerhäuser und Hallen nun zu einem Einkaufs- und Gastronomiequartier umgestaltet worden, Nahverkehrsanschluss inklusive.

Ich glaube, in Lausanne hat man ziemlich viel richtig gemacht die letzten 20 Jahre.

Geschrieben von Benedikt Hotze

2. Oktober 2010 um 13:31

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