„Was machst du gerade?“ fragen mich die Web-2.0-Communities – und erwarten, dass ich ihnen meinen Tagesablauf auf den Server lege. Ich mache das nicht so gerne. Vielmehr teile ich das Unbehagen, das Jens Arne Männig neulich so treffend mit „Social-Media-Müdigkeit“ beschrieben hatte. Und wenn ich meinen lieben Mitmenschen nun doch mitteilen möchte, was ich gerade mache? Dann tu ich das einfach hier. Heute ist von einem sonnigen Sonntagsausflug nach Kleinmachnow und Potsdam zu berichten, und es gibt ein paar Architektur-Bilder.
Die „Königin“ unter den neusachlichen Villen in Kleinmachnow ist sicher das Wohnhaus Ihring in der Tucholskyhöhe 12, 1933/34 von Hermann Henselmann. Das Haus besteht laut Dehio „aus drei sich im Grundriss durchdringenden und verzahnten Trakten verschiedener Höhe“. Architekt Henselmann, der später in der DDR zeitweise den stalinistischen Stil der Nationalen Tradition vertreten hat, war zu Beginn seiner Karriere ein lupenreiner Moderner. Höhepunkt ist die Villa Kenwin am Genfer See bei Montreux (1932), aber auch in Kleinmachnow gibt es drei Beispiele.
So das Haus Heinicke (Fontanestr. 16) von 1932 und…
… das Haus Stengel (Fontanestr. 20) von 1933.
Gegenüber von Haus Ihring finden wir in der Tucholskyhöhe 11 das Haus Bahner, 1933 von Walter Gropius. Auch dieses Haus zeigt noch keine Beeinflussung durch die Architekturdoktrin der Nazis.
Ganz anders dagegen das Haus Max Barth in der Max-Reimann-Straße 10, in unmittelbarer Nähe zu Gropius. Die Berliner Avantgardebrüder Hans und Wassili Luckhardt waren hier 1936 offenbar gezwungen, das Haus unter einem mächtigen Walmdachhut zu verstecken. Angedeutete Fensterbänder, eine eingezogene Ecke und der seltsame Ziegelverband sind allerdings Indikatoren dafür, dass die Architekten moderne Gestaltungen in den Entwurf einzuschmuggeln vermochten.
Das Haus Am Kamp 16, 1930 von Walter von Walthausen für sich selbst errichtet, zeigt hingegen wieder eine moderne Baukörperauffassung.
Das Haus in der Käthe-Kollwitz-Straße Nr. 7 ist nur gemäßigt modern. Der Dehio nennt keinen Architekten, und auch das Baudatum wird mit „späte 20er Jahre“ eher vage angegeben. Dafür ist der Bauherr prominent: Es ist der Komponist Kurt Weill. Nachtrag 6/2012: Das Haus wurde 1929/30 von dem Architekten Ferdinand Zarth errichtet (Quelle: N. Bröcker, Kleinmachnow bei Berlin, Berlin 2010)
Das Haus Henckels, Am Weinberg 5 gelegen und von 1934/35, bezeichnet mein Dehio (2000) als „angeblich[es] Frühwerk von Egon Eiermann“. Die Forschung weiß inzwischen, das man das „angeblich“ getrost streichen kann.
Am Hochwald 30 ist die Adresse einer merkwürdigen Burganlage in Kleinmachnow, die 1939-43 als Forschungsanstalt der Deutschen Reichspost errichtet wurde. Heute dient sie in Teilen einer internationalen Schule, andere Teile stehen seit langem leer. Der Rüstungsbau der Nazis oberhalb der Hakeburg besteht aus „ausgedehnten Betonstahlskelettbauten mit Ziegelausfachung“ (Dehio; es müsste wohl eher Stahlbetonskelettbauten heißen), wobei „der moderne Zug konterkariert durch archaisierende Elemente“ wird (wiederum Dehio). Ich mag dieses Treppenhaus aus gehämmertem Sichtbeton, es nimmt die 50er Jahre vorweg (wohl „der moderne Zug“).
Nun haben wir Kleinmachnow verlassen. Dieser schick gemusterte Ziegelturm steht unübersehbar an der B2 in Krampnitz, zwischen Potsdam und Berlin-Spandau bei Fahrland. Er gehört zu der verlassenen Kasernenanlage Potsdam-Krampnitz, deren Verkauf zur Zeit als lokalpolitischer Skandal in Potsdam diskutiert wird. Ich habe keine Baudaten zu diesem trutzigen Turm, verorte ihn aber mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls in der Nazizeit. Nachtrag 6/2012: Ich hätte vielleicht einfach in meinen Dehio sehen sollen, da stehts nämlich: Ehemalige Kavallerieschule, weitläufige, monumentale Anlage aus unverputzten Ziegelbauten, 1937-39 von R. Kisch.
So romantisch können die Kasernenbauten in Krampnitz aussehen – dabei haben sie das Zeug dazu, die kommende Potsdamer OB-Wahl zu beeinflussen, die zur Zeit überall in der Stadt plakatiert ist.
Wie eine Mischung aus japanischem Minimalismus und Prairie Style kommt dieses noch nicht ganz fertige Haus am Sacrower See, das in Wahrheit ein Umbau eines DDR-Wochenendhauses ist.
Kein Sacrow-Besuch ohne Heilandskirche. Das Meisterwerk von Ludwig Persius, den ich für den originellsten der Schinkel-Schüler halte, stand bis 1990 im DDR-Grenzstreifen. (Irgendwas ist an dem Bild schief…)
Zum Schluss noch etwas Natur: Birken im Schlosspark Sacrow. Das wars für heute ;-)
I. Kuhn
12. Dez 22 um 19:05
Sehr geehrter Herr Hotze –
„Ohne Dich macht mir überhaupt nichts mehr Spass“
Entschuldigung. So lautet der Titel einer Doppel CD, mit einer Aufnahme des Briefwechsels zwischen Lotte Lenya und Kurt Weill, gelesen von Helene Grass und Gerd Warmeling, mit Klavierbegleitung von Adam Benzwi, längst vergriffen, aber antiquarisch problemlos erhältlich.
Durch diese Aufnahme bin ich auf Ihren Blog gestossen, als ich den vermeintlich aussichtslosen Versuch unternommen habe, nach dem Haus von Lotte Lenya und Kurt Weill im Netz zu fischen, dessen Originaladresse im Briefwechsel vorkommt.
So bin ich von einer sehr guten und informativen Unterhaltung in die Nächste gerutscht.
Generell lese ich lieber selber, da ich so das lahme Tempo meiner Gedanken selber bestimmen kann, aber für diese Einspielung mache ich gern eine Ausnahme.
Vielen Dank für Ihren schönen Blog: Da ich zwei Exemplare der CD habe, kann ich Ihnen gerne eines schicken, wenn Sie mir eine Versand-Adresse an meine hinterlegte E-Mail zukommen lassen.
Eine schöne Winterzeit wünsche ich, Mit freundlichen Grüssen, I. Kuhn
Benedikt Hotze
12. Dez 22 um 21:08
Vielen Dank für den schönen Kommentar und das Angebot mit der CD, das ich allerdings nicht annehme. Machen Sie damit jemandem eine Freude!
Benedikt Hotze
2. Dez 22 um 23:54
Lieber Herr Krieg,
haben Sie vielen Dank für Ihren Einwand.
Sofern wir uns jetzt nicht missverstehen, handelt es sich bei den vertikalen steinernen Elementen des gerundeten Treppenhauses um scharrierten Beton, zumindest habe ich das vor Ort so erkannt. Dass hier Natursteinelemente eingebaut worden wären, halte ich für wenig plausibel. Aber ich verspreche, beim nächsten Spaziergang darauf zu achten!
Stefan W. Krieg
2. Dez 22 um 23:15
Sehr geehrter Herr Hotze,
gerade stoße ich Ihr Foto der Forschungsanstalt Am Hochwald 30 und frage mich, ob die grauen Blöcke kein Beton, sondern vielmehr Naturstein sind, nämlich Nagelfluh, wie er in Bayern gerne verwendet wird, etwa am Sockel der Frauenkirche in München und dann in der Nazizeit.
Ich kenne das Gebäude nicht, und bin mir bei Betrachtung Ihres Fotos auch keineswegs sicher. Aber vielleicht können Sie ja gelegentlich wieder dort spazierengehen und die Frage noch einmal prüfen.
MfG
Stefan W. Krieg