Die Aufregung hat sich gelegt, das Jagdschloss Glienicke im äußersten Berliner Südwesten ist nach einer Brandschadenssanierung inzwischen wieder in Nutzung. Im Zuge der Sanierung ist der von Max Taut 1960-64 gebaute so genannte „Taut-Erker“ erneuert worden – woran sich konservative Zehlendorfer Bürger gestört hatten, die lieber dessen Entfernung und eine Rekonstruktion der historischen Situation gehabt hätten (siehe unser Bericht von einer Veranstaltung im Rathaus Zehlendorf von 2012). Doch deren Ansinnen wurde nicht berücksichtigt, vielmehr ist die „Zeitschicht Taut“ wieder erstanden. Doch leider überzeugt das Ergebnis nicht vollends.
Die Reko-Freunde sollten sich stets klar machen: Ohne den Umbau von Max Taut gäbe es das Jagdschloss Glienicke gar nicht mehr. Denn nach seiner Kriegsbeschädigung wäre das im Mauerschatten gelegene Neorenaissance-Schlösschen, dessen bildprägende Substanz aus der Zeit des Historismus des 19. Jahrhunderts stammt, wohl abgerissen worden, wenn man nicht eine neue Nutzung als landeseigene Jugendbildungsstätte gefunden hätte. Nach damaligem Verständnis war die Substanz aus dem 19. Jahrhundert nämlich kaum erhaltenswert. Daraus erklärt sich auch die relative Freiheit, die sich der bedeutende Architekt Taut nehmen konnte: Mit dem „Taut-Erker“, der inneren Organisation und weiteren, auf dem Gelände platzierten Gebäuden griff er deutlich sichtbar in das Schloss ein. Heute würde man das nicht mehr so unbefangen machen, man würde vielmehr ein „Weiterbauen“ anstreben, das den historischen Bau ergänzt, aber nicht kontrastiert. Ein gutes Beispiel dafür ist die jüngst mehrfach preisgekrönte Ergänzung des Hambacher Schlosses durch den Architekten Max Dudler.
Seit Tauts Umbau in Glienicke ist inzwischen ein halbes Jahrhundert vergangen. Alle Beteiligten, die über das Sanierungskonzept nach dem Brand von April 2003 zu befinden hatten, sahen übereinstimmend die „Zeitschicht Taut“ als prägend und somit als erhaltenswürdig an – auch der Bezirk Steglitz-Zehlendorf, der erst später nach einem parteipolitischen Wechsel plötzlich dagegen war. Somit ist das Sanierungskonzept auch keine einsame Entscheidung des Landeskonservators, wie immer wieder behauptet wird.
Der ursprüngliche „Erker“, der besser „Eingangsvorbau“ heißen müsste, war zwar nicht durch den Brand beschädigt worden, hatte sich aber im Zuge der Baumaßnahmen angeblich als so „marode“ erwiesen, dass er abgetragen und neu aufgebaut wurde. Das Ergebnis ist jetzt zu besichtigen.
Der Taut-Erker ist in ungefähr den alten Dimensionen wiedererstanden. Die seitlichen Mauerwerkswangen erscheinen allerdings als deutlich breiter als vor dem Abriss. Die Geometrie der Öffnungsflügel wurde geändert. Vor Ort ist eine Anmutung von Sechziger-Jahre-Architektur kaum mehr spürbar; der Taut-Erker sieht aus wie ein Neubau (was er ja auch ist). Die räumlich prägende Pergola vor dem Gebäude ist ganz verschwunden.
Warum werden für solche sensiblen Arbeiten an historischer Substanz nicht Architekten herangezogen, die sich mit der Sanierung von Bauten der Moderne einschlägig auseinandergesetzt haben? Statt dessen kam hier mit Dr. Christina Petersen eine Architektin zum Zuge, die sich öffentlich als Taut-Gegnerin positioniert hatte und somit gegen ihre eigene Überzeugung den „Taut-Erker“ rekonstruieren „musste“. Kann man in so einer Konstellation eine sensible, ehrliche Arbeit überhaupt erwarten? Warum haben die Beteiligten diesen Konflikt erst gar nicht bemerkt?
Wähend der „Taut-Erker“ also wiedererstanden ist, wurde ein Küchentrakt von ihm abgerissen. Die Gymnastikhalle ist noch in Nutzung, stellt sich aber inzwischen als baufällig dar. Hier ist prägende Originalsubstanz von Max Taut vorhanden, die dringend gesichert werden müsste.
Nachtrag: Interessant ist in diesem Zusammenhang noch das Protokoll des Berliner Landesdenkmalrates vom 11. März 2011. Daraus geht hervor, dass ein unabhängiger Gutachter die (technische) Erhaltbarkeit des Taut-Erkers festgestellt hatte. Und darin wird noch einmal begründet, warum die „Zeitschicht Taut“ erhaltenswürdig ist:
Das mit dem Landesdenkmalamt abgestimmte denkmalpflegerische Konzept war mit dem Ziel entstanden, die Beiträge aller Epochen – entsprechend den internationalen Denkmalpflegekriterien („Charta von Venedig“) –, also auch die mehrschichtige Umbaugeschichte von Schloss Glienicke, zu respektieren und zu konservieren. Die Glasfassade ist als Beitrag der Nachkriegszeit und als Antwort Tauts auf die Grenzziehungen des Kalten Krieges zu begreifen. Hier ist einer der wenigen Orte, an dem die Geschichte noch ablesbar ist.
Die Erhaltungs- und Sanierungsfähigkeit des Taut’schen Eingangspavillons mit seiner Glasfassade wurde zuletzt im Sommer 2010 durch eine fachtechnische Stellungnahme zur bestehenden Stahlkonstruktion bestätigt, wobei auch bauphysikalische und energetische Verbesserungen untersucht wurden. Dieses durch das Landesdenkmalamt Berlin beauftragte unabhängige Gutachten hat ergeben, dass die Stahlglasfassade von Max Taut auch unter Berücksichtigung energetischer Aspekte sanierungsfähig und nachrüstbar ist.
Der Landesdenkmalrat hatte in seiner Sitzung am 27.08.2010 seine Empfehlung von 2005 bestätigt, die Brandkatastrophe im Dachstuhl nicht zum Anlass für ein neues Fassadenbild zu nehmen.